Originally published in Insight 04/2011.

I. Einleitung

Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform II wurde per 1. Januar 2011 das Kapitaleinlageprinzip eingeführt, welches das frühere Nennwertprinzip ablöst.

II. Worum geht es?

Mit dem Systemwechsel zum Kapitaleinlageprinzip sollen Rückzahlungen von Einlagen, Aufgeldern und Zuschüssen durch Kapitalgesellschaften mit Sitz in der Schweiz, die von bisherigen oder heutigen Inhabern der Beteiligungsrechte nach dem 31. Dezember 1996 geleistet worden sind, gleich wie die Rückzahlung von Aktien- oder Stammkapital behandelt werden. Mit anderen Worten unterliegen solche Rückzahlungen beim Beteiligungsinhaber nicht mehr der Einkommenssteuer und bei der Gesellschaft nicht mehr der Verrechnungssteuer. Nennwertrückzahlungen müssen über das formale Verfahren der Kapitalherabsetzung durchgeführt werden; demgegenüber kann die Rückzahlung von Reserven aus Kapitaleinlagen in der Form einer Dividende erfolgen. Die Generalversammlung entscheidet, ob die Dividenden aus dem Jahresgewinn bzw. Gewinnvortrag oder eben aus den Reserven aus Kapitaleinlagen ausgeschüttet werden.

Dieser Handlungsspielraum und insbesondere das Thema der «Steuerfreien Dividende» hat in den Medien grosse Beachtung gefunden. Gemäss Schätzungen sollen in Schweizer Kapitalgesellschaften gesamthaft rund CHF 250 Milliarden Reserven aus Kapitaleinlagen schlummern, welche potentiell steuerfrei ausbezahlt werden können.

Um von diesen Vorteilen Gebrauch machen zu können, müssen die Gesellschaften noch beim Jahresabschluss 2010, spätestens aber beim Jahresabschluss 2011, ihre Hausaufgaben machen.

III. Grundsätzliches zum Kreisschreiben Nr. 29 der Eidgenössischen Steuerverwaltung

Die steuerfreie Rückzahlbarkeit der Reserven aus Kapitaleinlagen an die Beteiligungsinhaber ist international verbreitet und sachgerecht, da diese Mittel nicht aus Gewinnen der Gesellschaft erwirtschaftet wurden, sondern von den Beteiligungsinhabern stammen. Dennoch versucht die Eidgenössische Steuerverwaltung (nachfolgend: ESTV), wie mit dem Kreisschreiben Nr. 29 vom 9. Dezember 2010 kommuniziert, einerseits ihre Besteuerungsbefugnisse entgegen dem Wortlaut in den entsprechenden Gesetzen auszuweiten (vgl. Ziff. VI nachstehend) und andererseits strenge buchhalterische Anforderungen aufzustellen, obwohl das Rechnungslegungsrecht des Obligationenrechtes noch nicht an die neuen steuerrechtlichen Bestimmungen angepasst wurde (vgl. Ziff. IV nachstehend).

Nach Ansicht der ESTV qualifizieren als Kapitaleinlagen nur direkt von Inhabern der Beteiligungsrechte nach dem 31. Dezember 1996 geleistete Einlagen, Aufgelder und Zuschüsse, welche in der empfangenden Gesellschaft verbucht und offen auf einem gesonderten Konto ausgewiesen werden.

IV. Verbuchung in der Handelsbilanz

Das Gesetz fordert lediglich, dass die Einlagen, Aufgelder und Zuschüsse in der Handelsbilanz ausgewiesen werden.

Die ESTV setzt für die Anerkennung von steuerfrei rückzahlbaren Kapitaleinlagen hingegen voraus, dass diese in der handelsrechtlichen Schlussbilanz des Geschäftsjahres, welches im Kalenderjahr 2011 endet, offen auf einem gesonderten Konto «Reserven aus Kapitaleinlagen» unter dem Gliederungstitel «gesetzliche Reserven» ausgewiesen werden. Gemäss der Auffassung der ESTV ist das Eigenkapital in der Handelsbilanz der Gesellschaften spätestens ab 2011 wie folgt zu gliedern bzw. auszuweisen:

V. Dividendenbeschluss

Bis anhin konnte Agio nicht direkt zur Speisung der Dividende verwendet werden; zuvor musste es durch Beschluss der Generalversammlung in die freien Reserven umgebucht werden. Da der Gesetzgeber das Handelsrecht nicht angepasst hat, empfehlen wir auch unter der Geltung des Kapitaleinlageprinzips dieses Vorgehen beizubehalten: Will die Gesellschaft eine (Agio-) Dividende erreichen, sollte der Generalversammlungsbeschluss zuerst die Umbuchung der auszuschüttenden Kapitaleinlagen in die freien Reserven festhalten und umgehend, im selben Generalversammlungsbeschluss, die auszuschüttende Dividende, selbstverständlich unter Beachtung der gesellschaftsrechtlichen Ausschüttungsrestriktionen, beschliessen. Im Dividendenbeschluss muss detailliert ausgewiesen sein, welche Umbuchungen ihm zu Grunde liegen. Die so vorgenommene Aufteilung hat für alle Aktionäre gleich zu sein. Es ist mithin nicht möglich, dass z.B. den natürlichen Personen die Dividenden aus Kapitaleinlagen und den Gesellschaften die Dividenden aus den übrigen Reserven ausgeschüttet werden. Die Praxis wird zeigen, ob es allenfalls möglich sein wird, eine neue Kategorie von Vorzugsaktien zu schaffen, welchen ein Vorzugsrecht auf Dividenden aus Kapitaleinlagen eingeräumt wird. Zumindest aus handelsrechtlicher Sicht scheint dem nichts entgegen zu stehen.

Vorsicht: Werden Reserven aus Kapitaleinlagen in die freien Reserven gebucht (was unseres Erachtens nach wie vor handelsrechtliche Voraussetzung der Ausschüttbarkeit ist) und nicht sogleich ausgeschüttet, führt dies nach Ansicht der ESTV dazu, dass diese Mittel nie mehr steuerfrei ausgeschüttet werden können.

VI. Ausgewählte Spezialfälle

Nachfolgend werden vier Spezialfälle aufgeführt, welche zeigen, dass bei der Umsetzung des Kapitaleinlageprinzips weitere Hindernisse zu meistern sind:

A. Nicht direkt vom Beteiligungsinhaber geleistete Einlagen

Nach Ansicht der ESTV qualifizieren weder Vorteilszuwendungen unter Schwestergesellschaften noch Zuschüsse einer Grossmuttergesellschaft als Kapitaleinlagen, da diese eben nicht direkt von Beteiligungsinhabern geleistet werden.

B. Sanierung/Verlustverrechnung

Bisher war es im Rahmen einer Bilanzsanierung verbreitete Usanz, die ausgewiesenen Verluste mit den Reserven zu verrechnen. Gemäss ESTV führt aber die Verrechnung von erlittenen Verlusten mit Reserven aus Kapitaleinlagen dazu, dass Letztere nicht mehr steuerfrei an die Beteiligungsinhaber zurückbezahlt werden können.

Deshalb ist es aus steuerlichen Überlegungen der Beteiligungsinhaber empfehlenswert, wie auch handelsrechtlich erlaubt, die kumulierten Verluste in der Handelsbilanz brutto bzw. als negatives Eigenkapital auszuweisen. Allerdings ist hier eine heikle Abwägung zu treffen, da das Kapitaleinlageprinzip und die Voraussetzungen zum Erlass der Emissionsabgabe nicht harmonieren. Um einen Erlass der Emissionsabgaben zu erwirken, müssen die Verluste nämlich handelsrechtlich beseitigt werden.

C. Erwerb eigener Aktien

Damit eigene Aktien mit maximaler Flexibilität verwendet werden können, empfiehlt sich, die gemäss Gesetz (Art. 659a Abs. 2 OR) dafür speziell zu bildende Reserve aus den Reserven aus Kapitaleinlagen zu bilden. Dadurch können die eigenen Aktien inskünftig ohne negative Steuerfolgen verkauft, vernichtet oder gehalten werden.

Aufgrund der Tatsache, dass das Handelsrecht nicht angepasst wurde, stipuliert Art. 659 Abs. 1 OR nach wie vor, dass die Gesellschaft für den Erwerb eigener Aktien frei verwendbares Eigenkapital im Umfang des Rückkaufpreises haben muss. Nachdem die Reserven aus Kapitaleinlagen eben gerade nicht zu den freien Reserven gehören, gibt es Lehrmeinungen, wonach die Reserven aus Kapitaleinlagen nicht zum Erwerb eigener Aktien verwendet werden können.

D. Gratisaktien/ Mitarbeiteraktien

Das Kapitaleinlageprinzip bringt mit sich, dass soweit die Liberierung von Gratisaktien zu Lasten der Reserven aus Kapitaleinlagen erfolgt, diese weder der Einkommenssteuer noch der Verrechnungssteuer unterliegen. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass Mitarbeiteraktien, wenn sie unentgeltlich zugeteilt oder zu einem Vorzugspreis erworben werden, für den Mitarbeiter Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit darstellen und auch Sozialabgaben auslösen. Unabhängig davon, ob diese Mitarbeiteraktien aus Reserven aus Kapitaleinlagen geschaffen werden, werden sie im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis ausgerichtet und sind im Lohnausweis zu berücksichtigen. Unter diesem Aspekt ist gemäss heutigem Wissensstand von der Liberierung von Mitarbeiteraktien aus Kapitaleinlagen abzuraten.

VII. Fazit und Handlungsbedarf

Es wird dringend empfohlen, die systematische Aufarbeitung aller seit dem 1. Januar 1997 geleisteten Kapitaleinlagen umgehend an die Hand zu nehmen, um in Zukunft von der steuerfreien Rückzahlung der Kapitaleinlagen profitieren zu können. Sämtliche zwischen dem 1. Januar 1997 und dem 31. Dezember 2010 geleisteten Kapitaleinlagen sind der ESTV spätestens innert 30 Tagen nach der Genehmigung der Jahresrechnung 2011 mit Formular 170 mit Nachweis zu melden. Nach Ablauf dieser Frist wird eine Offenlegung der Kapitaleinlagen steuer lich nicht mehr anerkannt und die steuerfreie Rückzahlung ist somit verwirkt. Im Weiteren müssen sämtliche künftigen Veränderungen von Kapitaleinlagen innert 30 Tagen nach der Genehmigung durch die Generalver sammlung mittels Formular 170 sowie einer von der ESTV vorgegebenen Excel Datei gemeldet werden.

Sofern der Jahresabschluss 2010 noch nicht erstellt ist, empfehlen wir, den entsprechenden Ausweis der Reserven aus Kapitaleinlagen bereits für den Abschluss 2010 vorzunehmen, insbesondere falls die Gesellschaft bereits für das Geschäftsjahr 2010 «steuerfreie Dividenden » ausschütten will.

Das Kapitaleinlageprinzip hat weitreichende Folgen und betrifft auch Umstrukturierungen (Fusionen, Spaltungen, etc.), Teilliquidationen (direkte und indirekte) und Transponierungsfälle.

Gerne sind wir bereit, Sie hierzu zu beraten. Für etwaige Rückfragen stehen Ihnen unsere Expertenteams für Steuer- und Gesellschaftsrecht jederzeit zur Verfügung.

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