1. Einleitung

Im vorliegenden Beitrag werden zwei Bundesgerichtsentscheide thematisiert, welche während des Berichtszeitraums von Januar bis Juni 2020 ergangen sind. Die Autorinnen behandeln ausgewählte Aspekte und Fragestellungen, welche das internationale Steuerrecht betreffen. Zur Diskussion stehen zwei Entscheide im Zusammenhang mit Kapitalbzw. Rentenleistungen aus beruflicher Vorsorge im grenzüberschreitenden Verhältnis (2C_510/2018 vom 6. Februar 2020 und 2C_748/2018 vom 20. Februar 2020). Da beide Entscheide inhaltlich die gleichen Fragen aufwerfen, soll auf das zweite Urteil im Rahmen der Kommentierung des ersten Urteils eingegangen werden.

2. Besteuerung einer Kapitalleistung aus beruflicher Vorsorge im grenzüberschreitenden Verhältnis

BGer 2C_510/2018 vom 6. Februar 2020 i.S. Steuerverwaltung des Kantons Bern gegen A. betreffend Kantons- und Gemeindesteuern des Kantons Bern 2011, Direkte Bundessteuer 2011; Kapitalleistung aus beruflicher Vorsorge.

a) Sachverhalt

A. war bis am 30. April 2011 Angestellter der B. AG, einer früheren Tochtergesellschaft der Schweizerischen Post. Bereits im Jahre 2010 hatte er sich nach Thailand abgemeldet, wo er seither lebt. Die Pensionskasse Post richtete ihm per 2. Mai 2011 eine Kapitalleistung aus seiner beruflichen Vorsorge in der Höhe von rund CHF 1 Mio. aus, wobei sie Quellensteuern in der Höhe von rund CHF 100'000 einbehielt.

A. stellte ein Gesuch auf Rückerstattung der Quellensteuer, welches die Steuerverwaltung des Kantons Bern mit Einspracheentscheid abwies. Die Steuerrekurskommission des Kantons Bern hiess die dagegen erhobenen Rechtsmittel gut, woraufhin die Steuerverwaltung des Kantons Bern hiergegen Beschwerde erhob, welche vom Verwaltungsgericht des Kantons Bern abgewiesen wurde. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gelangte die Steuerverwaltung des Kantons Bern sodann an das Bundesgericht.

b) Bundesgerichtliche Erwägungen

Streitige Frage

Das Bundesgericht hatte primär darüber zu entscheiden, ob der Schweiz oder Thailand das Besteuerungsrecht für die an A. ausgerichtete Kapitalleistung zukam. Während vor der Vorinstanz die steuerliche Ansässigkeit von A. in Thailand unbestritten war,1 trug die Steuerverwaltung des Kantons Bern im bundesgerichtlichen Verfahren andeutungsweise vor, dass A. in Thailand gar keine Steuern bezahle und folglich nicht abkommensberechtigt sei. Sie stützte sich dabei auf Ausführungen des Staatssekretariats für Internationale Finanzfragen (SIF), welche der Beschwerdeschrift beigelegt wurden. Darin wurde festgehalten, dass die Abkommensberechtigung voraussetze, dass die in Frage stehende Person aufgrund Wohnsitzes, Aufenthalts oder eines ähnlichen Merkmals (unbeschränkt) steuerpflichtig sein müsse. Hierzu erwog das Bundesgericht, dass die Frage, ob A. in Thailand steuerpflichtig ist, sich nach thailändischem Recht beurteilt und vom Bundesgericht nicht überprüft werden kann, so dass das Bundesgericht gemäss der Einschätzung der Vorinstanz von der Steuerpflicht des A. in Thailand ausging.2

Rechtliche Grundlagen

Das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich Thailand zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen vom 12. Februar 1996 (DBA CH-TH)3 sieht in Art. 17 vor, dass Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen, die einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person für frühere unselbständige Arbeit gezahlt werden, grundsätzlich nur in diesem Staat besteuert werden dürfen. Vorbehalten sind indessen nach Art. 18 Abs. 2 lit. a DBA CH-TH Ruhegehälter, die von einem Vertragsstaat oder einer seiner politischen Unterabteilungen oder lokalen Körperschaften oder aus einem von diesem Staat oder der politischen Unterabteilung oder lokalen Körperschaft errichteten Sondervermögen an eine natürliche Person für die diesem Staat oder politischen Unterabteilung oder lokalen Körperschaft geleisteten Dienste gezahlt werden.

Während die Steuerverwaltung des Kantons Bern Art. 18 Abs. 2 lit. a DBA CH-TH für einschlägig erachtete, kam die Vorinstanz zum Schluss, dass Art. 17 DBA CH-TH zur Anwendung kommen müsse, zumal Staatsbetriebe, in denen Verwaltungsaufgaben ausgelagert werden, nicht unter die Umschreibung «Vertragsstaat, politische Unterabteilung oder lokale Körperschaft» fallen.4

Auslegung von Art. 18 Abs. 2 DBA CH-TH

In einem ersten Schritt setzte sich das Bundesgericht mit dem zeitlichen Aspekt von Art. 18 Abs. 2 lit. a DBA CH-TH auseinander, da sich die an A. ausgerichtete Kapitalleistung auf verschiedene Tätigkeiten bezog. Es stellte dabei fest, dass schweizerische Steuerbehörden praxisgemäss keine Aufteilung der Kapitalleistung vornehmen und stattdessen auf die unmittelbar vor der Pensionierung ausgeübte Tätigkeit abstellen. Die Lösung überzeugte das Bundesgericht, da eine Aufteilung mit vielen Unwägbarkeiten behaftet wäre. So müssten nicht nur die verschiedenen Arbeitsverhältnisse, sondern auch deren Gewichtung bestimmt werden, was zu einem grossen Verwaltungsaufwand führen könnte und die Gefahr birgt, dass Kassen- und Ansässigkeitsstaat die kombinierte Vorsorgeleistung unterschiedlich aufteilen, woraus eine teilweise Doppelbesteuerung oder doppelte Nichtbesteuerung der Vorsorgeleistung resultieren würde.5

Da A. unmittelbar vor seiner Pensionierung bei der B. AG angestellt war, war für das Bundesgericht somit einzig die Frage entscheidend, ob juristische Personen des Privatrechts, welche öffentliche Aufgaben besorgen oder vom Staat kontrolliert werden, unter Art. 18 Abs. 2 DBA CH-TH fallen. In seinen Erwägungen zog das Bundesgericht u.a. die Rechtsprechung anderer Länder bei und kam zum Schluss, dass Rechtsträger des Privatrechts nicht unter die Begriffe «Vertragsstaat, politische Unterabteilung oder lokale Körperschaft» subsumiert werden können. Dies gilt selbst dann, wenn der Kassenstaat sämtliche Kapitalanteile an diesem privatrechtlichen Rechtsträger hält oder ihn auf andere Weise kontrolliert.6

Weil die B. AG in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft des Privatrechts organisiert war, schloss sich das Bundesgericht den Feststellungen der Vorinstanz an und unterstellte die ausgerichtete Kapitalleistung Art. 17 DBA CH-TH. Entsprechend wurde das alleinige Besteuerungsrecht Thailand als Ansässigkeitsstaat zugewiesen.7

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Footnotes

1. VGer BE 100.2017.27/28U vom 1. Mai 2019 E. 3.1.

2. BGer 2C_510/2018 vom 6. Februar 2020 E. 3.2.

3. SR 0.672.974.51.

4. BGer 2C_510/2018 vom 6. Februar 2020 E. 4.

5. BGer 2C_510/2018 vom 6. Februar 2020 E. 5.1 ff.

6. BGer 2C_510/2018 vom 6. Februar 2020 E. 6.1.

7. BGer 2C_510/2018 vom 6. Februar 2020 E. 6.2.

Originally published by ASA 89/ 6-7/ 2020-2021, S. 413-420.

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