Die neue EU-Prospekt-Verordnung (Prospekt-VO") ist mit 21.07.2019 vollständig in Kraft getreten und ermöglicht unter anderem einen vereinfachten Zugang zum Kapitalmarkt für kleinere und mittlere Unternehmen. Nachdem diese EU Verordnung in den EWR übernommen wurde, ist sie mitsamt der Durchführungsrechtsakte in Liechtenstein unmittelbar anwendbar. Im nationalen Recht waren lediglich ergänzende Vorschriften etwa betreffend die Zuständigkeit der Liechtensteinische Finanzmarktaufsicht (FMA") zu regeln. Deshalb können auch liechtensteinische Gesellschaften von diesen Regelungen Gebrauch machen.

Prospektpflicht

Grundsätzlich darf ein öffentliches Angebot von Wertpapieren in Liechtenstein erst nach Veröffentlichung eines von der FMA gebilligten Prospektes erfolgen.

Ausgenommen von der Pflicht zur Erstellung eines Prospekts sind im Wesentlichen die folgenden Fälle:

  • der Gesamtgegenwert des öffentlichen Angebots innerhalb der EU/EWR beträgt weniger als EUR 1'000'000 innerhalb von 12 Monaten;
  • der Gesamtgegenwert des öffentlichen Angebots innerhalb von Liechtenstein beträgt weniger als EUR 8'000'000 oder den Gegenwert in Schweizer Franken innerhalb von 12 Monaten;

das öffentliche Angebot richtet sich ausschließlich an qualifizierte Anleger;

  • das öffentliche Angebot richtet sich pro Mitgliedsstaat an weniger als 150 nicht qualifizierte Anleger;
  • Mindestbetrag von EUR 100'000 je Angebot und Anleger; oder
  • Mindeststückelung von EUR 100'000.

Für den Fall, dass keine oben genannten Ausnahmen einschlägig ist, hat der Emittent einen Prospekt zur erstellen. Dabei hat er die Wahl, entweder einen normalen" Prospekt oder einen EU-Wachstumsprospekt zu erstellen. 

Wer kann die Möglichkeit eines EU-Wachstumsprospekts in Anspruch nehmen?

Um die Möglichkeit in Anspruch nehmen zu können, einen EU-Wachstumsprospekt anstatt eines normalen" Prospekts zu erstellen, sind folgende zwei Voraussetzungen zu beachten:

  • das Unternehmen darf bisher noch keine Wertpapiere begeben haben, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen wurden; und
  • es muss sich um ein privilegiertes" Unternehmen handeln. 

Privilegierte Unternehmen nach der Prospekt-VO sind:

  • Klein- und Mittelunternehmen (KMU");
  • Emittenten, bei denen es sich nicht um KMU handelt, deren Wertpapiere an einem KMU-Wachstumsmarkt gehandelt werden oder gehandelt werden sollen, sofern ihre durchschnittliche Marktkapitalisierung auf der Grundlage der Notierungen zum Jahresende in den letzten drei Kalenderjahren weniger als 500'000'000EUR betrug; und
  • andere als die beiden vorhin genannten Emittenten, deren öffentliches Angebot von Wertpapieren einem Gesamtgegenwert in der Union von höchstens 20'000'000 EUR über einen Zeitraum von 12Monaten entspricht, sofern keine Wertpapiere dieser Emittenten an einem MTF gehandelt werden und ihre durchschnittliche Beschäftigtenzahl im letzten Geschäftsjahr bis zu 499 betrug.
  • Anbieter von Wertpapieren, die von den unter den ersten beiden Spiegelstrichen genannten Emittenten begeben wurden.

Bei KMU handelt es sich gemäß der Prospekt-VO um Unternehmen, die mindestens zwei der drei nachfolgenden Eigenschaften erfüllen:

  • eine durchschnittliche Beschäftigtenzahl im letzten Geschäftsjahr von weniger als 250;
  • eine Gesamtbilanzsumme von höchstens EUR 43 Millionen; und
  • ein Jahresnettoumsatz von höchstens EUR 50 Millionen. 

Darüber hinaus zählen zu den KMU Unternehmen, deren durchschnittliche Marktkapitalisierung in den letzten drei Kalenderjahren weniger als EUR 200 Millionen betrug. 

Aufbau des EU-Wachstumsprospekt

Der Wachstumsprospekt soll die Prospekterstellung durch einen verkürzten Inhalt und eine standardisierte Reihenfolge des Prospektinhaltes erleichtern. Es handelt sich dabei um ein Dokument mit einem verkürzten Inhalt in einer standardisierten Aufmachung, das in leicht verständlicher Sprache abgefasst und für die Emittenten leicht auszufüllen ist.

Der EU-Wachstumsprospekt orientiert sich vom Inhalt her im Wesentlichen an dem alten" KMU-Prospekt, wurde jedoch weiter entschlackt, sodass etwa die Angaben zu Beschäftigten, der Unternehmenshistorie, Wettbewerbern und Praktiken der Geschäftsführung nicht mehr notwendig sind. Ebenso gibt es Erleichterungen bei der Darstellung der Geschäfts- und Finanzlage einschließlich Sachanlagen, Lizenzen und Patenten. Grundsätzlich sind nur noch Finanzinformationen einschließlich wesentlicher Leistungsindikatoren (KPIs) und Abschlüsse für ein (Anleihe) bzw. zwei Jahre (Aktien) aufzunehmen. Weitere Angaben zum Geschäftskapital sowie zur Kapitalausstattung und Verschuldung sind nur bei der Ausgabe von Aktien durch Emittenten mit einer Marktkapitalisierung von über EUR 200 Mio. erforderlich. 

Der Aufbau des EU-Wachstumsprospektes wird durch die Anhänge der Delegierte Verordnung (EU) 2019/980 konkretisiert. Dabei werden in tabellarischer Form die inhaltlichen Anforderungen an den EU-Wachstumsprospekt detailliert angeführt. Sämtliche enthaltenen Informationen sind dabei in dieser vorgegebenen standardisierten Reihenfolge aufzuführen. Die Bestandteile des Prospekts folgen dabei einer Aufmachung im Frage-Antwort-Stil", um (i) die Verständlichkeit und Zugänglichkeit für Anleger zu gewährleisten und um (ii) den Erstellungsaufwand für den Emittenten im Rahmen zu halten.

Dabei teilt sich der EU-Wachstumsprospekt grundsätzlich in die folgenden drei Abschnitte:

  • spezielle Zusammenfassung;
  • spezielles Registrierungsformular; und
  • spezielle Wertpapierbeschreibung. 

Spezielle Zusammenfassung

Für die spezielle Zusammenfassung gelten die gleichen Regeln wie für alle Prospektzusammenfassungen. So hat diese präzise, redlich, klar und nicht irreführend zu sein. Sie darf zudem keine Querverweise auf andere Teile des Prospekts enthalten und muss selbstverständlich mit dem übrigen Prospekt übereinstimmen. Anders als bisherige Prospektzusammenfassungen darf die spezielle Zusammenfassung aber nur maximal 6 DIN-A4-Seiten betragen.

Der Aufbau der speziellen Zusammenfassung wird durch Anhang 23 der Delegierte Verordnung (EU) 2019/980 wie folgt konkretisiert:

  • Basisinformationen über den Emittenten (z.B. Kontaktdaten, Haupttätigkeit, Finanzinformationen mit wesentlichen Leistungsindikatoren (KPIs) oder zentrale Risiken);
  • Basisinformationen über die konkreten Wertpapiere (z.B. Art, Währung, Stückelung, verbundene Rechte, ggf. Angaben zu Garantien oder zentrale Risiken);
  • Basisinformationen über das öffentliche Angebot der Wertpapiere; und
  • Gründe für die Erstellung des EU-Wachstumsprospekts. 

Risikofaktoren

Durch die Prospekt-VO wurde klargestellt, dass sich die Risikofaktoren nur auf die wesentlichen Risiken für den Emittenten sowie die Wertpapiere beschränkt und durch den Inhalt des Prospekts bestätigt werden sollen. Ein Prospekt darf daher keine Risikofaktoren enthalten, die allgemeiner Natur sind und nur dem Haftungsausschluss dienen. 

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Risikofaktoren gewichtet werden müssen (leicht – mittel – schwer). 

Bewilligung des Prospekts

Die Liechtensteinische Finanzmarktaufsicht (FMA") ist für die Billigung von Prospekten zuständig. Dabei prüft sie den Prospekt auf Vollständigkeit, Kohärenz (Widerspruchsfreiheit) und Verständlichkeit der im Prospekt enthaltenen Informationen. Die Richtigkeit der Angaben eines Wertpapierprospektes, insbesondere zugesicherte Eigenschaften (zum Beispiel Mündelsicherheit, hohe Ertragschancen, grösstmögliche Sicherheit, geringe Volatilität) werden durch die FMA nicht überprüft. 

Im Rahmen des Billigungsverfahrens sind die folgenden Unterlagen bei der FMA einzureichen:

  • Schriftliches Gesuch an die FMA mit Begründung des angewendeten Anhangs der Delegierten Verordnung (EU) 2019/980;
  • Original des vom Emittenten unterfertigter Wertpapierprospekt samt Prospektzusammenfassung;
  • Konkordanztabelle zum verwendeten Anhang (die Konkordanztabelle soll angeben, an welcher Stelle des Prospektes die jeweiligen von den Anhängen geforderten Angaben zu finden sind);
  • Metadaten-File;
  • Legal Opinion zur Abgrenzung der möglichen Einschlägigkeit anderer Spezialgesetze (insbesondere eines Fonds) – sofern es Anhaltspunkte dafür gibt. 

Nach Erhalt sämtlicher Unterlagen im Original entscheidet die FMA binnen 20 Arbeitstagen. 

Passporting

Bei Vorliegen eines gebilligten Wertpapierprospektes kann der Emittent beantragen, dass die FMA den Wertpapierprospekt in ein anderes Land der EU/EWR notifiziert (EU-Passporting"). Die Notifikation eines Wertpapierprospektes ermöglicht es in dem Land, in welches notifiziert wurde, ebenfalls ein öffentliches Angebot der prospektgegenständlichen Wertpapiere vorzunehmen. 

In Liechtenstein ist ein solcher Notifikationsantrag" an die FMA zu senden oder kann bereits im Billigungsgesuch inkludiert werden. Die FMA übermittelt diesen Antrag binnen eines Arbeitstages ab dessen Eingang bzw. erfolgter Billigung an die zuständigen Behörden der Aufnahmemitgliedstaaten (zB. die BaFin für Deutschland) sowie an die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). 

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