EINFÜHRUNG

Am 25. März 2020 erliess der Bundesrat die COVID-19- Solidarbürgschaftsverordnung zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Bis heute (Stand 22. Juni 2020) wurden unter dieser Verordnung ca. 128'500 Kredite im Umfang von ca. CHF 15 Milliarden gewährt.

MEDIENBERICHTERSTATTUNG ÜBER MISSBRÄUCHE UND EINGELEITETE ERMITTLUNGEN DER STRAFVERFOLGUNGSBEHÖRDEN

In den Medien wird zunehmend von Missbräuchen bei der Beantragung und Verwendung von Krediten gemäss der COVID-19 Solidarbürgschaftsverordnung berichtet. So sollen Antragsteller falsche Angaben zur Umsatzhöhe gemacht, Kredite für konkursreife Unternehmen erwirkt, sowie Kredite missbräuchlich auf Privatkonten oder ins Ausland transferiert oder bestehende Kredite abgelöst haben. In mehreren Kantonen haben die Strafverfolgungsbehörden – hauptsächlich aufgrund Meldungen der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS), welche von den Banken über verdächtige Zahlungseingänge informiert wurde – Ermittlungen eingeleitet.1 Zurzeit sind über 650 Fälle in Abklärung.2

AUSZAHLUNG DER KREDITE IN DER SCHWEIZ PRAKTISCH OHNE KONTROLLE

Die COVID-19-Kredite werden allgemein ohne Sicherheiten ausbezahlt. Die Kredite bis zu einem Betrag von CHF 500'000 wurden auch ohne inhaltliche Prüfung der wesentlichen Punkte der Selbstdeklaration beim Stellen des Kreditantrages gewährt. 3 Die Bürgschaftsorganisationen gewähren hierfür vollumfängliche Solidarbürgschaften und Ausfälle werden vom Bund übernommen.4

Die Kredite gelten bereits dann als verbürgt, wenn der Kreditantrag an die Bürgschaftsorganisation weitergeleitet oder der Kredit ausbezahlt wird.5 Die Refinanzierung der Banken erfolgt durch die Schweizerische Nationalbank (SNB). 6 Die SNB akzeptiert die verbürgten Kredite der Banken als Sicherheit für ihre Darlehen an die Banken. 7 Die Bewirtschaftung und Verwaltung der Kredite erfolgen aber weiterhin durch die Banken, wobei diese aber kein Risiko tragen.8 Lediglich bei den COVID-19 Plus Krediten, also den Krediten über CHF 500'000, ist die Solidarbürgschaft auf 85 % des Kreditbetrags begrenzt.9

Die schnelle und unkomplizierte Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität war und bleibt wesentlich. Für die Akzeptanz der COVID-19 Kredite und der anderen Beihilfen des Bundes ist jedoch eine wirksame Governance und Kontrolle der Vergabe, Verwendung und Rückforderung der Mittel von zentraler Bedeutung. Im Idealfall wird sich in den kommenden Monaten und Jahren zeigen, dass griffige Kontrollinstrumente und eine hartnäckige Durchsetzung der Ansprüche die Missbräuche auf ein vertretbares Minimum beschränkten.

AKTUELLE GOVERNANCE UND KONTROLLE: DIE NACHTRÄGLICHE AUFDECKUNG VON MISSBRÄUCHEN

Am 15. Mai 2020 veröffentlichte der Bund ein Prüfkonzept zur Missbrauchsbekämpfung bei COVID-19 Solidarbürgschaften. Der Bund hat Missbrauchsrisiken identifiziert und Massnahmen zur Verhinderung dieser Missbräuche vorgestellt:

  • Das Kreditantragsformular auf EasyGov.swiss wurde mit dem Register der Unternehmens-Identifikationsnummer (UID) verbunden. Die darin enthaltenen Daten werden importiert und können nicht mehr manuell verändert werden. Diese Verknüpfung dient der Feststellung der Identität und der Geschäftstätigkeit der Antragsteller. Damit wird sichergestellt, dass das Unternehmen tatsächlich existiert und sich nicht in Konkurs oder Liquidation befindet.
  • Die Banken führen die zwingenden Schritte zur Identifikation der Kunden gemäss Bundesgesetz über die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung durch.10
  • Ein externes Wirtschaftsprüfungsunternehmen prüft als Zentralstelle der Bürgschaftsorganisationen sämtliche Anträge auf Vollständigkeit und (formelle) Einhaltung der Anspruchsvoraussetzungen. U.a. wird die Korrektheit des Gründungsdatums überprüft, sowie eine zweite Prüfung bezüglich Konkurs oder Liquidation vorgenommen. Weiter sollen allfällige Mehrfachanträge bei unterschiedlichen Banken aufgedeckt werden.11
  • Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) überprüft ihrerseits mittels Analyse der Steuerdaten (insbesondere Verrechnungs- und Mehrwertsteuerinformationen) die Korrektheit der Umsatzangaben. Weiter prüft die EFK, ob sich das Unternehmen in einem Nachlassverfahren befindet. Auffälligkeiten werden durch die EFK via das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) zur Detailprüfung an die Bürgschaftsorganisationen übermittelt.12

BEURTEILUNG DER NACHTRÄGLICHEN KONTROLLEN IN DER SCHWEIZ

Der Bundesrat hat in der COVID-19 Solidarbürgschaftsverordnung auf ein griffiges Vorab-Kontrollsystem verzichtet. Das nun entwickelte Prüfkonzept zielt im Wesentlichen darauf ab, grundlegende Angaben und Voraussetzungen nachzuprüfen. Die Nachprüfungen können Missbräuche zwar aufdecken, aber nicht präventiv verhindern.

Die systematische Nachprüfung durch die EFK sowie der Abgleich und die Analyse mittels vorhandener Daten sind zu begrüssen. Gesamthaft sind die nachträglichen Kontrollen als Kontrollmechanismus aber ungenügend, um erhöhten Missbrauch auszuschliessen. Zu bemängeln ist insbesondere, dass die Umsatzhöhe, welche als Berechnungsgrundlage für die Höhe des zulässigen Kredits (max. 10% des Umsatzerlöses) dient, aber auch die Natur des Umsatzes (bspw. blosse Durchlaufgeschäfte zur Steueroptimierung oder blosse Ausland-Ausland Geschäfte), nicht analysiert und beurteilt werden können, da die entsprechenden Daten der Kreditnehmer nicht systematisch erhoben werden.

Positiv zu werten ist, dass die Koordination der Nachprüfung der Kredite über die Zentralstelle der Bürgschaftsorganisationen verläuft. Es sind aber viele Stellen involviert, was die Gefahr birgt, dass Verantwortlichkeiten nicht klar zugewiesen sind und es zu Informationsverlust und Verzögerungen kommt. So muss die EFK Auffälligkeiten an das SECO übermitteln. Die entsprechenden Informationen gelangen dann vom SECO an die Zentralstelle und von dieser an die einzelnen Bürgschaftsorganisationen.13 Auch sollte sichergestellt werden, dass die Zentralstelle sich nicht in einem strukturellen Interessenkonflikt befindet (als Zentralstelle und zugleich als Beraterin oder Revisionsstelle von Kreditnehmern).

EINLEITUNG VON STRAF- UND ZIVILVERFAHREN

Allfällige zivil- und/oder strafrechtliche Schritte werden durch die Bürgschaftsorganisationen eingeleitet. Eine Koordination über die Zentralstelle findet soweit ersichtlich nicht statt. Die einzelnen Bürgschaftsorganisationen informieren das SECO über die straf- und zivilrechtlichen Verfahren. Das Inkassomanagement übernimmt eine Drittpartei. 14 Das SECO übernimmt seinerseits das Reporting und berichtet über die eingeleiteten straf- und zivilrechtlichen Verfahren.15

In strafrechtlicher Hinsicht erfüllen Missbräuche voraussichtlich nur den eigens dafür geschaffenen Übertretungsstraftatbestand mit einer maximalen Busse von CHF 100'000.16 Die klassischen Straftatbestände des StGB wie Betrug und Urkundenfälschung greifen wohl nicht. Hinsichtlich des Betrugs im Sinne von Art. 146 StGB erfüllt die blosse Falschangabe des Gesuchstellers angesichts der fehlenden Überprüfung der Angaben die Voraussetzung der Arglistigkeit im Allgemeinen eher nicht. 17 Gewisse Autoren argumentieren jedoch auch, dass der Tatbestand des Betrugs erfüllt sei.18 Urkundenfälschung gemäss Art. 251 StGB dürfte in der Regel aufgrund der fehlenden Urkundenqualität oder der Angaben der Gesuchstellerin, welche eher als einfache schriftliche Lügen und nicht als Falschbeurkundung zu werten sind, nicht erfüllt sein. 19

EIN VERGLEICH MIT DEUTSCHLAND

Die sogenannten KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) Schnellkredite stellen das deutsche Pendant der schweizerischen Corona Kredite dar. Sie wurden am 15. April 2020 eingeführt. Die Kredite werden von Banken gewährt, welche eine Haftungsfreistellung von 100% durch die KfW erhalten, abgesichert durch eine Garantie des Bundes. Der Zinssatz beträgt zurzeit einheitlich 3%, 20 die Laufzeit der Kredite 10 Jahre. 21 Die Kredithöhe bestimmt sich wie in der Schweiz nach dem Umsatz. Pro Unternehmensgruppe können bis zu 25% des Jahresumsatzes 2019 gewährt werden, aber maximal EUR 500'000 pro Unternehmensgruppe mit zwischen 10 und 50 Mitarbeitern bzw. maximal EUR 800'000 pro Unternehmensgruppe mit über 50 Mitarbeitern.22

In Deutschland trifft die Hausbank, welche den Kredit ausbezahlt, eine Prüfpflicht. Sie muss die Höhe des Umsatzes anhand des Jahresabschlusses, Lohn- und Gehaltsunterlagen, Angaben der gesetzlichen Unfallversicherung, Bestätigung des Steuerberaters oder mittels sonstiger geeigneter Unterlagen überprüfen. 23 Weiter muss die Hausbank bestätigen, dass der Kreditnehmer in den Jahren 2017-2019 in der Summe oder im Jahr 2019 einen Gewinn erzielt hat. Hierzu kann sie Gewinn- und Verlustrechnung, Einnahmenüberschussrechnung, die betriebswirtschaftliche Auswertung oder wiederum sonstige geeignete Unterlagen überprüfen.24 Schliesslich muss die Bank bestätigen, dass für das antragstellende Unternehmen gemäss aktueller Auskunft einer allgemein anerkannten Auskunftei keine der aufgezählten Negativmerkmale vorliegt. Ein Ausschlusskriterium ist u.a. der Umstand, dass das Unternehmen erst nach dem 1. Januar 2019 eingetragen/eröffnet wurde. 25 Mit der Überprüfung des in der Vergangenheit erzielten Gewinnes soll verhindert werden, dass auch wirtschaftlich angeschlagene

Unternehmen staatliche Unterstützung erhalten. 26 Zudem wurde die Ablösung von anderen Krediten ausgeschlossen: Die bei der Hausbank zum Zeitpunkt der Antragstellung für den Endkreditnehmer bewilligten Kreditlinien müssen aufrechterhalten werden.27

Auf vergleichbare Vorkehren verzichtete die Schweiz. Lediglich Kreditnehmer in einem Konkurs- oder Nachlassverfahren oder in Liquidation sind ausgeschlossen, wobei ein entsprechender automatischer Abgleich mit dem Unternehmensregister offenbar zunächst nicht stattfand.28

In Deutschland hat die beihilfegebende Stelle gemäss der Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020 zudem sicherzustellen, dass für jede Einzelbeihilfe, die auf der Grundlage dieser Regelung gewährt wird, gewisse vorgegebene Informationen innerhalb von 12 Monaten ab dem Zeitpunkt der Gewährung veröffentlicht werden.29 Damit wird Transparenz geschaffen.

In Fällen von Missbrauch besteht in Deutschland mit dem Tatbestand des Subventionsbetrugs gemäss § 264 StGB – im Gegensatz zur Schweiz (siehe oben) – zudem ein griffiger Straftatbestand, wobei in schweren Fällen eine Mindeststrafe von 6 Monaten Freiheitsstrafe droht.

HANDLUNGSBEDARF DER SCHWEIZ

Aus Governance Überlegungen und zur Minimierung der Verluste sollte zeitnah die Schaffung einer einzigen zentralen Kontrollinstanz für alle COVID-Finanzhilfen geschaffen werden. Sie sollte auch alle erforderlichen straf- und zivilrechtlichen Massnahmen koordinieren. Die Kontrollinstanz muss, soll sie wirksam sein, über adäquate finanzielle und personelle Ressourcen und uneingeschränkte Kompetenzen für den Zugang zu Informationen verfügen. Die strukturelle Unabhängigkeit der neuen Kontrollinstanz muss zudem gewährleistet sein. Damit kommt faktisch nur eine unabhängige Bundesbehörde in Frage, wie beispielsweise die Eidgenössische Finanzkontrolle. Auch wäre die Schaffung von Transparenz, wie in Deutschland, äusserst wichtig und wirksam: sunlight is the best cure.

Eine wirksame Governance und Kontrolle wird dazu beitragen, das Missbrauchsrisiko wirksam zu bewältigen und den Respekt und Goodwill, den sich der Bundesrat mit seinem beherzten Handeln in der Krise verdient hat, zu bewahren.

Footnotes

1 Vgl. NZZ vom 12. Mai 2020, (Zürcher Strafverfolger ermitteln gegen Covid-19-Kreditbetrüger), ( https://www.nzz.ch/zuerich/coronavirus-in-zuerich-ermittlungen-gegencovid-kreditbetrueger-ld.1556142).

2 Vgl. Statistik der Bürgschaftsorganisationen, (https://covid19.easygov.swiss/fuer-medien/).

3 Vgl. Hinweise zum Kreditantrag auf https://www.easygov.swiss/easygov/#/de/landing/covid.

4 Art. 3 f. und 8 COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung.

5 Art. 3 Abs. 3 COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung.

6 Art. 20 ff. COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung.

7 Art. 21 COVID-Solidarbürgschaftsverordnung.

8 Vgl. Abschnitt 5 der Erläuterungen zur COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung vom 14. April 2020

9 Art. 4 Abs. 5 COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung

10 Vgl. Ziffer 5.2 des Prüfkonzepts Missbrauchsbekämpfung COVID-19 Solidarbürgschaften.

11 Vgl. Ziffer 5.3 des Prüfkonzepts Missbrauchsbekämpfung COVID-19 Solidarbürgschaften.

12 Vgl. Ziffer 5.4 des Prüfkonzepts Missbrauchsbekämpfung COVID-19 Solidarbürgschaften.

13 Vgl. Ziffer 5.4.1 und 5.3.4 Prüfkonzepts Missbrauchsbekämpfung COVID-19 Solidarbürgschaften.

14 Vgl. Ziffer 5.5.5 des Prüfkonzepts Missbrauchsbekämpfung COVID-19 Solidarbürgschaften.

15 Vgl. Ziffer 5.7.4 des Prüfkonzepts Missbrauchsbekämpfung COVID-19 Solidarbürgschaften.

16 Vgl. Seite 16 f. der Erläuterungen zur COVID-19 Solidarbürgschaftsverordnung vom 25. März 2020.

17 Ibid.

18 BENJAMIN MÄRKLI/MORITZ GUT, Missbrauch von Krediten nach COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung, AJP 2020, S. 729.

19 Ibid und Seite 16 f. der Erläuterungen zur COVID-19 Solidarbürgschaftsverordnung vom 25. März 2020.

20 Vgl. Konditionenübersicht für Endkreditnehmer der KfW, ( https://www.kfwformularsammlung.de/KonditionenanzeigerINet/KonditionenAnzeiger?ProgrammNameNr=078).

21 Vgl. Seite 3 des Merkblatts KfW Schnellkredit 2020, ( https://www.kfw.de/PDF/DownloadCenter/F%C3%B6rderprogramme-(Inlandsf%C3%B6rderung)/PDFDokumente/6000004525_M_078.pdf).

22 Vgl. Seite 3 des Merkblatts KfW Schnellkredit 2020.

23 Vgl. Seite 5 des Formulars betreffend Ergänzende Angaben zum Antrag: KfW Schnellkredit 2020, ( https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/F%C3%B6rderprogramme- (Inlandsf%C3%B6rderung)/PDFDokumente/6000004524_F_078_ergaenzende_angaben_schnellkredit.pdf).

24 Vgl. Seite 5 f. des Formulars betreffend Ergänzende Angaben zum Antrag: KfW Schnellkredit 2020.

25 Vgl. Seite 6 f. des Formulars betreffend Ergänzende Angaben zum Antrag: KfW Schnellkredit 2020.

26 Vgl. Seite 1 des Merkblatts KfW Schnellkredit 2020.

27 Vgl. Seite 2 des Merkblatts KfW Schnellkredit 2020.

28 Vgl. NZZ vom 16. April 2020, «Corona-Kredite für KMU: Wie der Bund Betrüger abschreckt», ( https://www.nzz.ch/wirtschaft/covid-kredite-fuer-kmu-wie-leicht-kann-manden-bund-an-der-nase-

herumfuehren-ld.1551774).

29 §3 (4) Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020.

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