I. AUSGANGSLAGE/FRAGESTELLUNG

Der Bundesrat hat mit Wirkung per 17. März 2020 öffentlich zugängliche Einrichtungen wie Bar- und Restaurationsbetriebe sowie Einkaufsläden (ausser Lebensmittelläden, Apotheken etc.) für das Publikum bis zum 19. April 2020 geschlossen (vgl. Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus [COVID-19] sowie die dazugehörigen Erläuterungen).

Im Nachgang an diese behördlich angeordnete Schliessung stellt sich die Frage, ob der Mieter während der Schliessung den Mietzins weiterhin bezahlen muss.

II. RECHTLICHE ÜBERLEGUNGEN

A) Einleitung

Eine Situation, wie sie die Schweiz derzeit durchlebt, hat es noch nie gegeben. Daher ist – wie so oft – die Rechtslage nicht eindeutig. Die von den Gerichten bisher beurteilten Fälle betrafen zwar ebenfalls die Schliessung von Betrieben durch eine Behörde, nur lag der Grund für die Schliessung entweder im Verantwortungsbereich des Mieters (z.B. Lebensmittelbehörde schliesst ein Restaurant wegen nicht eingehaltenen Hygienevorschriften) oder in demjenigen des Vermieters (z.B. Schliessung eines Restaurants wegen einer Ungezieferplage im ganzen Gebäude).

Nachstehend beleuchten wir in aller Kürze die in unserer Beurteilung in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen:

B) Begründet die Schliessung einen Mangel des Mietobjektes?

1. Was ist ein Mangel?

Um die Frage nach dem Vorliegen eines Mangels zu beantworten, sind zwei Zustände des Mietobjekts zu vergleichen, nämlich der geschuldete und der effektive Zustand des Mietobjekts (vgl. BGE 135 III 345 E. 3.2, CPra BailAUBERT, Art. 258 OR N. 20 ff.). Ein Mangel liegt dann vor, wenn dem Mietobjekt (ganz oder teilweise) eine Eigenschaft fehlt, die im Mietvertrag zwischen den Parteien vereinbart wurde, wobei die Vereinbarung eine ausdrückliche oder implizite sein kann. Zu den geschuldeten Eigenschaften, die der Mieter auch ohne ausdrückliche Vereinbarung erwarten darf, zählen diejenigen, welche für die Tauglichkeit der Mietsache zum vorausgesetzten Gebrauch erforderlich sind.

Mit dem Begriff «zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand» ist der «vertragsgemässe» Zustand gemeint. Der «vorausgesetzte» Gebrauch beurteilt sich daher in erster Linie nach dem Mietvertrag, das heisst dem vertraglichen Verwendungszweck. Nicht unter den Mangelbegriff fallen hingegen Umstände, die keine vom Vermieter geschuldete Eigenschaft des Mietobjekts betreffen.

Wie verhält es sich nun mit einer behördlich angeordneten Schliessung gestützt auf das Epidemiengesetz?

2. Unsere Einschätzung

Im Unterschied zu anderen behördlich oder amtlich angeordneten Schliessungen oder Nutzungsbeschränkungen gründet die COVID-19-Schliessung nicht in einer fehlenden Eigenschaft des Mietobjektes: Das Mietobjekt ist mängelfrei, nur darf es nicht mehr benutzt werden. Die bisher von den Gerichten als «Sachmängel rechtlicher Art» beurteilten und nicht vom Mieter verschuldeten Schliessungs-Fälle (z.B. fehlender Notausgang [Feuerpolizei], Ungezieferbefall des Gebäudes [Gesundheitspolizei], nicht zonenkonforme Nutzung [Baupolizei]) gründeten aber alle in fehlenden Eigenschaften des Mietobjekts, welche der Vermieter klarerweise geschuldet hätte.

Zentral ist damit für uns die Frage: Schuldet der Vermieter ein Restaurant oder Ladengeschäft, welches dem Publikum zugänglich sein muss?

Diese Frage ist offen und wir gehen davon aus, dass ein Gerichtsentscheid in beide Richtungen gefällt werden kann, ohne dass er grob rechtsfehlerhaft wäre. Einerseits kann argumentiert werden, eine effektive, faktische Nutzbarkeit des Mietobjektes zum vertraglich vereinbarten Gebrauch (gemäss dem vertraglich vereinbarten Verwendungszweck, z.B. Restaurant) sei geschuldet, womit es aktuell an der Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts fehlen würde. Andererseits kann man sich auf den Standpunkt stellen, das Mietobjekt bzw. die Räumlichkeiten stünden dem Mieter ja zur Verfügung, wodurch der Vermieter seine Gebrauchsüberlassungspflicht erfülle. Der Vermieter sei nicht verpflichtet, das Mietobjekt frei von öffentlich-rechtlichen Einschränkungen, z.B. aufgrund des Epidemiengesetzes, zu halten.

3. Bleibt der Mietzins geschuldet?

Falls die COVID-19-Schliessung einen Mangel darstellt, hat der Mieter einen Anspruch auf Mietzinsherabsetzung (Art. 259d OR). Der Mieter hat den Vermie

ter vom Mangel in Kenntnis zu setzen. Auch wenn die Betriebsschliessung im vorliegenden Fall als allgemein bekannt gelten kann, ist betroffenen Mietern, welche entsprechende Herabsetzungsansprüche geltend machen oder sich zumindest vorbehalten wollen, zu empfehlen, dem Vermieter den Mangel direkt und nachweisbar anzuzeigen.

Geht man davon aus, dass die Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts gänzlich fehlt, könnte die Mietzinsreduktion bis zu 100% betragen. Da die bekannten Fälle mit der aktuellen Lage nicht direkt vergleichbar sind, könnte die Herabsetzung aber auch tiefer ausfallen, nämlich mit der Begründung, der Mieter könne ja im Mietobjekt verbleiben und dieses eingeschränkt nutzen.

Dem Mieter ist aber in keinem Fall zu empfehlen, die Mietzinszahlungen ohne vorgängiges Gespräch mit dem Vermieter auszusetzen. Ansonsten riskiert er eine Kündigung wegen Zahlungsverzug (Art. 257d OR). Sollte die Herabsetzung als berechtigt beurteilt werden, wäre eine solche Kündigung zwar unwirksam. Angesichts der unklaren Rechtslage und der allgemein mit Gerichtsverfahren verbundenen Risiken, ist es indessen dem Mieter nicht zu empfehlen, eine Kündigung in Kauf zu nehmen.

4. Kann der Mietzins hinterlegt werden?

Da die behördlich angeordnete Betriebsschliessung einen Mangel darstellt, der vom Vermieter nicht beseitigt werden kann, ist eine Hinterlegung des Mietzinses unzulässig (BSK OR I-Weber, N 4 zu Art. 259g OR).

C) Vertragsanpassung aufgrund veränderter Umstände

Wenn sich die Umstände, d.h. die faktischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, unter welchen ein Vertrag geschlossen wurde, massiv verändern, kann dies zu sog. Äquivalenzstörungen (einem groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung) führen. Ein Vertrag kann in solchen Fällen vom Richter an diese veränderten Umstände angepasst werden (sog. «clausula rebus sic stantibus»). Nebst einer inhaltlichen Anpassung des Vertrages kommen auch eine vorzeitige Auflösung desselben oder eine Kürzung bzw. Verlängerung des Vertrages in Frage.

Auf die Rechtsfigur der «clausula rebus sic stantibus» muss indessen nur dann zurückgegriffen werden, wenn für das entsprechende Vertragsverhältnis nicht spezifische Anpassungs-Regelungen gelten. Im Mietrecht bestehen diverse gesetzliche Bestimmungen, welche Leistungsstörungen regeln, insbesondere die bereits beleuchtete Regelung bei Mängeln, aber auch das ausserordentliche Kündigungsrecht bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses (Art. 266g OR). Zudem fehlt es nach unserer Beurteilung bei einer bloss vorübergehenden Schliessung an der von der Rechtsprechung geforderten Intensität der Äquivalenzstörung (BGE 127 III 300).

D) Objektive Unmöglichkeit

Zu prüfen ist schliesslich noch, ob ein Fall der objektiven Unmöglichkeit der Vertragserfüllung i.S.v. Art. 119 OR vorliegt. Dies ist zu vereinen, weil keine definitive, sondern nur eine vorübergehende Unmöglichkeit vorliegen würde. Soweit die vorübergehende Unmöglichkeit vom Vermieter zu vertreten wäre, wären die bereits dargelegten Bestimmungen über Mängel massgebend.

III. EMPFEHLUNG

Die COVID-19-Schliessung kann nicht nur die Existenz eines Mieters gefährden, sondern auch beim Vermieter zu problematischen Ertragsausfällen führen.

Aufgrund der nicht eindeutigen Rechtslage sowie angesichts der Ausnahmesituation raten wir beiden Parteien von einseitigen Massnahmen ab und empfehlen dringend, in einem Gespräch eine einvernehmliche Lösung zu suchen. Eine mögliche Lösung könnte beispielsweise auch in der Stundung der Mietzinszahlungen bis zum Wegfall der Massnahme bestehen. Was auch immer vereinbart wird, sollte der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerecht werden.

Falls der Rechtsweg ins Auge gefasst wird, ist zu bedenken, dass bis zum Vorliegen eines Urteils – und erst recht bis zum Vorliegen eines Urteils des Bundesgerichts – sehr viel Zeit (mehrere Jahre) vergehen kann. Insbesondere bei KMUs dürfte eine rasche einvernehmliche Lösung viel vorteilhafter sein.

Anzufügen ist, dass der Bundesrat am 18. März 2020 einen Rechtsstillstand im Betreibungswesen vom 19. März bis und mit 4. April 2020 beschlossen hat (Verordnung über den Rechtsstillstand gemäss Artikel 62 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs). Direkt anschliessend sind Betreibungsferien, welche bis zum 19. April 2020 dauern. Die entsprechenden Fristen nach SchKG, die zwischen dem 19. März und dem 19. April 2020 ablaufen, werden daher bis zum 22. April 2020 verlängert. Bis zum 19. April 2020 dürfen insbesondere auch keine Zahlungsbefehle zugestellt werden.

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