Am 16. April 2020 hat der Bundesrat die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht erlassen. Sie bezweckt, den auf verantwortlichen Organen in Schweizer Unternehmen lastenden Druck zur Benachrichtigung des Konkursrichters ("Bilanz deponieren") zu mildern. Diese Entlastung soll dann greifen, wenn die negativen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Liquidität, Umsätze und Fortführungsannahme zu einer Überschuldung führen. Der Bundesrat hat ferner das Instrument einer speziellen COVID-19 Stundung geschaffen. Mit dieser 'Stundung light' soll den KMU ein rascher Zugang zu einer Stundung mit erleichterten formellen Voraussetzungen ermöglicht werden. Die 'Stundung light' ersetzt den allgemeinen Rechtsstillstand, den der Bundesrat bereits zu einem früheren Zeitpunkt während der COVID-19 Krise ausgerufen hatte und der nahtlos in die Osterbetreibungsferien mündete.

Der Bundesrat hat die bereits bestehenden Massnahmen zur Abfederung der Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Schweizer Wirtschaft um eine weitere Kategorie im Bereich der Insolvenzbestimmungen ergänzt. Ähnlich wie in anderen Rechtsordnungen wird es die neue COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht den Exekutivorganen Schweizer Gesellschaften ermöglichen, ungeachtet einer Überschuldung von einer Benachrichtigung des Gerichts abzusehen und die Geschäftstätigkeit fortzuführen, soweit sie zu einer positiven Prognose hinsichtlich der künftigen Sanierung der Bilanz bis zum 31. Dezember 2020 gelangt. Ferner wird kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dank der Schaffung einer speziellen COVID-19 Stundung bzw. 'Stundung light' mit weniger strengen formellen Anforderungen der Zugang zu einem Stundungsverfahren erleichtert.

1. Erleichterung bei Insolvenzantragspflicht

Aktuell strikte Notifikationspflicht: Das Schweizer Gesellschaftsrecht sieht für Exekutivorgane von Schweizer Gesellschaften bei Vorliegen einer Überschuldung eine strikte Pflicht zur Benachrichtigung des Konkursrichters vor. Das geltende Recht kennt nur zwei Ausnahmen:

  • Vorliegen eines Rangrücktritts für (Darlehens-) Forderungen in einem für die Deckung der Überschuldung ausreichenden Umfang1; oder
  • begründete Aussicht auf finanzielle Sanierung der Gesellschaft innert angemessener kurzer Frist.

Kontinuierliche Überwachungspflicht: Die Überprüfung, ob eine allfällige Überschuldung vorliegt, hat nicht bloss anhand der jüngsten Jahresbilanz zu erfolgen. Vielmehr sind Exekutivorgane verpflichtet, bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung eine Zwischenbilanz zu Fortführungs- und Veräusserungswerten zu erstellen. Diese Zwischenbilanz untersteht grundsätzlich der Prüfung durch die Revisionsstelle. Eine Pflicht zur Benachrichtigung des Richters besteht dann, wenn beide Bilanzen eine Überschuldung ausweisen.2 Die Benachrichtigung kann entweder in Form eines Antrags auf Konkurseröffnung, Konkursaufschub oder Gewährung einer Nachlassstundung erfolgen. Bei Nichteinhalten der Benachrichtigungspflicht droht den Exekutivorganen das Risiko der persönlichen Haftung für den Schaden aus Konkursverschleppung. Die Revisionsstelle untersteht einer subsidiären Benachrichtigungspflicht im Falle einer offensichtlichen Überschuldung.

Befürchtung einer Insolvenzwelle im Zusammenhang mit COVID-19: Es ist gegenwärtig kaum möglich, die Auswirkungen der COVID- 19 Pandemie auf die Zukunftsaussichten einer Gesellschaft verlässlich zu beurteilen. Dies ist für diejenigen Unternehmen offensichtlich, deren Geschäftstätigkeit vom aktuell geltenden Lockdown direkt betroffen ist und für die eine Unsicherheit betreffend Dauer der entsprechenden Massnahmen, mögliche Aufholeffekte und langfristige Verhaltensänderung der Konsumenten besteht. Darüber hinaus verzeichnen aber auch viele andere, nicht direkt betroffene Unternehmen aus verschiedenen Gründen einen einschneidenden Rückgang bei der Nachfrage, sei dies infolge von Problemen bei der Lieferkette, zahlungsunfähigen Kunden o.ä. In dieser weitverbreiteten Unsicherheit sind Cash Flow- und Gewinnprognosen sowie die kontinuierliche Einschätzung der Fortführungsannahme für Gesellschaften aller Grössenordnungen eine herausfordernde Aufgabe.

Erleichterungen bei den Anzeigepflichten: Um den Druck auf die Exekutivorgane zu verringern und verfrühte Insolvenzanträge infolge drohender Verantwortlichkeitsrisiken zu verhindern, hat der Bundesrat nun angeordnet, dass Gesellschaften den insolvenzrechtlichen Anzeigepflichten des Schweizer Rechts nicht nachkommen müssen, falls:

  • Aussicht besteht, dass die Gesellschaft bis am 31. Dezember 2020 eine "gesunde" Bilanz aufweisen wird (keine Überschuldung) (positive Zukunftsprognose); und
  • die Gesellschaft am 31. Dezember 2019 nicht überschuldet war.

Ferner sind die Exekutivorgane zwar nach wie vor verpflichtet, bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung eine Zwischenbilanz zu erstellen, die Prüfung dieser Zwischenbilanz kann jedoch unterbleiben. Gestützt auf diesbezügliche Vorbringen in der Vernehmlassung wird überdies klargestellt, dass die Revisionsstelle ebenfalls von ihrer subsidiären Notifikationspflicht befreit ist. Dies ermöglicht einen Austausch zwischen den Exekutivorganen und der Revisionsstelle.

Dokumentationspflicht und BJR: Die positive Zukunftsprognose ist eine unübertragbare und unentziehbare Pflicht des höchsten Exekutivorgans einer Gesellschaft. Sie erfordert einen transparenten und informierten Geschäftsentscheid, der angemessen und schriftlich dokumentiert ist. Interessenskonflikte sind zu vermeiden. Soweit diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist zu erwarten (und die Erläuterungen zur COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht des Bundesamtes für Justiz legen dies nahe), dass die Schweizer Gerichte den Exekutivorganen den Schutz der Business Judgement Rule gewähren werden, d.h. nicht in das Geschäftsermessen der Exekutivorgane eingreifen, es sei denn, die Beurteilung der Zukunftsprognose war offensichtlich unhaltbar.

Mängel der neuen Regelung: Ungeachtet verbreiteter Kritik in der Vernehmlassung können diejenigen Gesellschaften die Erleichterung der Anzeigepflichten nicht für sich beanspruchen, die per 31. Dezember 2019 formell überschuldet waren, jedoch unter geltendem Recht infolge ausreichender Rangrücktritte ihre Tätigkeit aufrecht erhalten durften. Vielmehr verbleibt diesen Gesellschaften nur die Wahl zwischen (i) zusätzlichen Rangrücktritten, um den erhöhten Betrag der Überschuldung zu decken, unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Fortführungsprognose (idealerweise mittels zusätzlicher Liquidität), (ii) einer Sanierung innert angemessener kurzer Frist oder (iii) einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Es ist zu erwarten, dass vielen sich in einem frühen Stadium befindliche Startups aufgrund ihrer speziellen Bilanzstruktur nur diese Optionen verbleiben werden.

2. 'Stundung light'

Ablauf des Rechtsstillstands: Für gewisse von der COVID-19 Pandemie stark betroffene Betriebe wird es nicht möglich sein, die Krise ohne formellen Schutz vor Gläubigerhandlungen zu überstehen. Vor vielen solchen Handlungen sind Schuldner grundsätzlich bis zum 19. April 2020 geschützt aufgrund des allgemeinen Rechtsstillstandes bzw. der Osterbetreibungsferien.3 Eine Verlängerung des Rechtsstillstandes wurde jedoch abgelehnt, sowohl aufgrund der ungewollten Konsequenzen (Rechtsstillstand für alle Schuldner kann negative Auswirkungen auf die allgemeine Zahlungsmoral nach sich ziehen) als auch wegen dessen Unvollständigkeit (kein Schutz gegen gewisse Gläubigerhandlungen wie z.B. Arrestlegungen und Privatverwertung von Sicherheiten).

Komplexität des Nachlassverfahrens: Das geltende Schweizer Insolvenzrecht erlaubt es einem Schuldner, sich im Rahmen einer sogenannten Nachlassstundung Schutz vor Gläubigern zu suchen. Seit 2014 kann die Nachlassstundung als für sich allein stehendes Sanierungsinstrument beantragt werden, welches nicht zwangsläufig in einer zweiten Phase zum Abschluss eines Nachlassvertrages mit den Gläubigern führt. Insofern wäre die Nachlassstundung auch für von COVID- 19 betroffene Unternehmen eine mögliche Option. Allerdings sind Nachlassverfahren bei KMU nach wie vor nicht weit verbreitet; dies nicht zuletzt deshalb, weil das Verfahren infolge des regelmässigen Einbezugs eines gerichtlich bestellten Sachwalters sowie der daraus entstehenden Kosten als komplex empfunden wird.

'Stundung light' als Abhilfe: Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat nun ein Verfahren vorgesehen, welches die Vorteile der Nachlassstundung ohne die in der Praxis festgestellten Nachteile offeriert. Die 'Stundung light' wird vom Gericht genehmigt und hindert die Gläubiger über weite Strecken daran, in der Schweiz Vollstreckungshandlungen vorzunehmen. Dadurch wird den KMU etwas Luft verschafft. Forderungen, welche vor der Gewährung der 'Stundung light' entstanden sind, dürfen mit Ausnahme gewisser privilegierter Forderungen nicht bezahlt werden. Von der Ausnahme erfasst sind insbesondere die Lohnforderungen der Arbeitnehmer und dazugehörige Pensionskassenansprüche. Demgegenüber ist eine Begleichung von Forderungen, die während der 'Stundung light' entstehen, möglich, sofern dies die berechtigten Interessen der Gläubiger nicht beeinträchtigt oder zu einer Gläubigerbevorzugung führt. Die Weiterführung der Geschäftstätigkeit bleibt grundsätzlich erlaubt, gewisse Handlungen wie z.B. die Gewährung von Sicherheiten oder die Veräusserung von Anlagevermögen bedürfen jedoch der gerichtlichen Genehmigung.

Besonderheiten der 'Stundung light': Die wichtigsten Unterschiede zwischen der 'Stundung light' und der regulären Nachlassstundung können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Die 'Stundung light' steht nur KMU offen (nicht aber kotierten und grossen4 Gesellschaften);
  • ein Gesuch für eine 'Stundung light' kann nur von einem Schutz suchenden KMU gestellt werden (nicht aber von dessen Gläubigern);
  • die Gesuchstellerin muss per 31. Dezember 2019 bilanztechnisch keine Überschuldung aufweisen. Diese Voraussetzung zielt darauf ab, dass die 'Stundung light' nicht von Gesellschaften in Anspruch genommen wird, die bereits vor der COVID-19 Pandemie in finanzieller Schieflage waren. Anders als bei den Erleichterungen in Bezug auf die Insolvenzantragspflichten werden Rangrücktritte bei der 'Stundung light' berücksichtigt, d.h. Gesellschaften mit einer Überschuldung per 31. Dezember 2019, die von Rangrücktritten in ausreichendem Umfang gedeckt sind, werden zur 'Stundung light' zugelassen.
  • der Detaillierungsgrad der dem Gericht einzureichenden Finanzinformationen ist geringer im Vergleich zu einer regulären Nachlassstundung. Diese Informationen müssen jedoch die finanzielle Lage der Gesuchstellerin so glaubhaft als möglich darlegen;
  • die Dauer der 'Stundung light' ist vorerst auf drei Monate begrenzt (kann jedoch einmalig um weitere drei Monate verlängert werden);
  • ein vom Gericht bestellter Sachwalter stellt die Ausnahme dar (und nicht die Regel, wie dies bei der regulären Nachlassstundung der Fall ist);
  • eine öffentliche Bekanntmachung der Stundung erfolgt in jedem Fall (keine stille 'Stundung light') und KMU müssen ihre Gläubiger proaktiv informieren, sobald die 'Stundung light' gewährt wurde;
  • obwohl die 'Stundung light' grundsätzlich vor gläubigerseitigen Handlungen schützt, finden gewisse Wirkungen der regulären Stundung keine Anwendung: (1) die Zinsen laufen während der 'Stundung light' weiter, (2) Zivilund Verwaltungsverfahren werden nicht automatisch sistiert, (3) der Sachwalter kann andere Forderungen als Geldforderungen nicht in Geldforderungen umwandeln und (4) eine Beendigung von Dauerschuldverhältnissen zwecks Vereinfachung der Sanierung ist auch bei Einsetzung eines Sachwalters nicht möglich;
  • für die 'Stundung light' gibt es keine speziellen 'Exit'-Bestimmungen, d.h. KMU können ihre Geschäftstätigkeit nach Ablauf der 'Stundung light' unter den normal geltenden Regeln fortsetzen. Das Gericht wird zu diesem Zeitpunkt nicht involviert; und
  • gleich wie in der Nachlassstundung erfordert das Masse- bzw. Superprivileg der während der 'Stundung light' eingegangenen Verbindlichkeiten die Zustimmung des Sachwalters. Da aber ein Sachwalter für die 'Stundung light' die Ausnahme darstellen wird, können Gläubiger nicht erwarten, ein Superprivileg in Anspruch nehmen zu können.

Die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht stellt klar, dass die Exekutivorgane der jeweiligen Gesellschaft mit dem Gesuch um 'Stundung light' ihren gesetzlichen Anzeigepflichten bei Überschuldung nachgekommen sind.

Belastung der Liquidität: Es wird sich zeigen, ob die 'Stundung light' in der Praxis weite Verbreitung finden wird. Da diese öffentlich bekannt gemacht wird und da Gläubigern, die mit dem Schuldner weiterhin Geschäfte abschliessen, grundsätzlich kein Superprivileg zukommt, wird eine 'Stundung light' wohl zumindest in einer ersten Phase zu einer Belastung der Liquidität führen. Viele Gegenparteien werden Vorkasse oder Vorschusszahlungen verlangen. Vor diesem Hintergrund wird es sich weisen müssen, ob Unternehmen, die eine 'Stundung light' ins Auge fassen, trotzdem Zugang zu einem COVID-19 Kredit haben werden. Anders als im ersten Entwurf (in welchem diese Option ausgeschlossen wurde) ist dies nun zumindest rechtlich erlaubt.

3. Anpassung bei der regulären Nachlassstundung

Schliesslich ergeben sich gewisse Änderungen bei der regulären Nachlassstundung. Namentlich können Gesuchsteller aktuell darauf verzichten, dem Gericht zusammen mit dem Gesuch um provisorische Nachlassstundung (d.h. der ersten Phase einer regulären Nachlassstundung) einen Sanierungsplan vorzulegen. Diese Erleichterung ist sinnvoll, da es angesichts der andauernden Unsicherheit schwierig sein dürfte, ein solches Dokument zu erstellen. Ferner wurde die Maximaldauer der provisorischen Nachlassstundung auf sechs Monate verlängert (vormals vier Monate). Schliesslich werden die Gerichte bis zum 31. Mai 2020 bei Unsicherheiten betreffend die Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung von Amtes wegen keine Konkursverfahren eröffnen, dies jedoch unter der Voraussetzung, dass der jeweilige Schuldner per 31. Dezember 2019 nicht überschuldet war bzw. die Überschuldung durch einen ausreichenden Rangrücktritt gedeckt war.

4. Inkrafttreten und Dauer

Die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht tritt am 20. April 2020 um 0.00 in Kraft. Sie gilt ab diesem Datum für eine Dauer von längstens sechs Monaten (vorbehältlich allfälliger durch den Bundesrat verfügten Verlängerungen).

Footnotes

1. Im Einklang mit "corporate best practice" müssen auch die erwarteten künftigen Verluste gedeckt sein.

2. Sofern die Fortführungsannahme nicht aufrecht erhalten werden kann, sind nur Veräusserungswerte massgeblich.

3. Vgl. COVID-19 Update vom 18. März 2020.

4. Gesellschaften, welche zwei der folgenden drei Kriterien überschreiten: Bilanzsumme von CHF 20 Mio., Umsatzerlös von CHF 40 Mio., 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt.

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