Analyse des schweizerischdeutsch- europarechtlichen Konfliktfelds*

Der vorliegende Beitrag erörtert die seit Jahren diskutierte1, aber bislang noch nicht endgültig geklärte Frage, ob die heute bei schweizerischen Publikums-Aktiengesellschaften weit verbreitete2 Ausschüttung von Reserven aus Kapitaleinlagen in Deutschland, gleich wie in der Schweiz und in Österreich3, auf Ebene des Privatanlegers (Streu besitz-Beteiligung) steuerfrei vereinnahmt werden kann. Aus deutscher ertragsteuerlicher Sicht stellt sich die Frage lediglich bei Privatanlegern mit Streubesitz-Beteiligungen von unter einem Prozent im Privatvermögen: Bei Beteiligungen im Betriebsvermögen oder bei Beteiligungen im Privatvermögen von mindestens einem Prozent ist aus deutscher ertragsteuerlicher Sicht eine grundsätzliche Steuerpflicht der Ausschüttung unstreitig.

1 Einleitung

In einem ersten Teil wird aus schweizerischer Sicht dargestellt, was unter «Reserven aus Kapitaleinlagen » oder «Kapitalreserven» von schweizerischen Aktiengesellschaften zu verstehen ist (Ziff. 2.1), und unter welchen Voraussetzungen sie gebildet und steuerfreifrei ausgeschüttet werden können (Ziff. 2.2).

In einem zweiten Teil wird die Besteuerung der Ausschüttung von Reserven aus Kapitaleinlagen in Deutschland nach aktueller Rechtslage beleuchtet (Ziff. 3.1). Schliesslich wird die deutsche Rechtslage vertieft daraufhin untersucht, inwieweit sie mit dem Europarecht und den Bilateralen Verträgen im Einklang steht (Ziff. 3.2).

Privatvermögen Betriebsvermögen
Beteiligung < 1% Beteiligung ≥ 1%
Die Besteuerung von Reserven aus Kapitaleinlagen schweizerischer Kapitalgesellschaften an deutsche Anleger ist nicht endgültig geklärt und daher im Folgenden näher zu untersuchen. Bei Anlegern, die innerhalb der letzten fünf Jahre vor
  • der Veräusserung,
  • der verdeckten Einlage von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft,
  • der Auflösung der Kapitalgesellschaft, der Kapitalherabsetzung, wenn das Kapital zurückgezahlt wird,
  • der Ausschüttung oder Zurückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto i. S. des § 27 Körperschaftsteuergesetz (KStG) oder
  • der Beschränkung oder dem Ausschluss des Besteuerungsrechts Deutschlands im Fall der Verlegung des Sitzes oder des Orts der Geschäftsleitung der Kapitalgesellschaft in einen anderen Staat
zu mindestens 1% unmittelbar oder mittelbar am Kapital der Kapitalgesellschaft beteiligt waren, sieht das deutsche Recht in § 17 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5 Einkommensteuergesetz (EStG) grundsätzlich eine Steuerpflicht vor. Bei einer Ausschüttung oder Zurückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagenkonto (§ 27 KStG) ist dabei als Veräusserungspreis der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft anzusehen (§ 17 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Satz 1 EStG); beim Gesellschafter ist die durch die Ausschüttung oder Rückzahlung eingetretene Vermögensmehrung erfolgsneutral mit den Anschaffungskosten zu verrechnen – ein steuerbarer Gewinn entsteht durch die Ausschüttung oder Rückzahlung (erst), sobald und soweit sie die Anschaffungskosten übersteigt**.

Die dargestellte Besteuerung*** gilt unabhängig davon, ob die Mittel dem Anleger aus dem In- oder Ausland von einer deutschen oder ausländischen Kapitalgesellschaft zufliessen, und damit unabhängig von der nachfolgend erörterten (Ziff. 3.2) europarechtlichen Dimension.
Bei Anlegern, welche die Beteiligung im Betriebsvermögen halten, mindert die Ausschüttung oder Zurückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto i. S. des § 27 Körperschaftsteuergesetz (KStG) grundsätzlich den Buchwert der Kapitalanteile und ist steuerpflichtig, soweit sie den Buchwert der Kapitalanteile überschreitet*.

* Vgl. etwa BFH v. 14.10.1992, I R 1/91, BStBl. II 1993, 189. Zum Hintergrund des Betriebsvermögensvergleichs für die Ermittlung von Einkünften aus Gewerbebetrieb vgl. Fischer/Früchtl, P+P Festschrift, 2008, S. 251 m. w. N.: Während für die privaten Einkunftsarten generell ein quellentheoretischer Ansatz gewählt wurde, sei auf Betreiben des Handels und Gewerbes im Jahr 1925 für betriebliche Einkünfte die Übernahme der handelsrechtlichen Buchführung und Bilanzierung für Steuerzwecke erfolgt – angesichts eines Steuersatzes von 4% sei der geringere Aufwand bei Übernahme der handelsrechtlichen Buchführung trotz der hieraus resultierenden Besteuerungsfolgen als vorteilhaft angesehen worden.

** Vgl. zur Ermittlung des Veräusserungsgewinns Vogt, in: Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 17 EStG, 124. Aufl. 2014, Rz. 888, 889: § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG stelle einen eigenständigen Veräusserungstatbestand dar, unabhängig von der Besteuerung eines Gewinns aus einer nachfolgenden Veräusserung der Gesellschaftsanteile gem. § 17 Abs. 1 EStG. Beide Veräusserungstatbestände können – zeitlich versetzt – kumulativ erfüllt sein. Negative Anschaffungskosten entstehen ab Veranlagungszeitraum 1997 nicht mehr.

*** Hierzu und zum Verhältnis von § 17 EStG zu §§ 20, 23 EStG Fischer/Früchtl, P+P Festschrift, 2008, S. 251 ff.

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Footnotes

* Die Autoren danken Frau Dr. Karoline Spies, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der Wirtschaftsuniversität Wien, für ihre kritische Durchsicht des Manuskripts und die intensive Diskussion der europarechtlichen Thematik.

1 Vgl. etwa den Newsletter II/2011 von WM Datenservice, S. 3 f.; generell zur Einlagenrückgewähr ausländischer Gesellschaften an deutsche Privatanleger mit Streu - besitzbeteiligungen aus deutscher Sicht Spilker/Peschke, DStR 2011, 385 ff. m. w. N.

2 Vgl. Finanz und Wirtschaft vom 24. September 2014, Nr. 75, 87. Jahrgang, S. 1, 3, 16.

3 Aus österreichischer steuerlicher Sicht entspricht die Zahlung nach dem schweizerischen Kapitaleinlageprinzip einer Einlagenrückzahlung im Sinne von § 4 Abs. 12 des österreichischen Einkommensteuergesetzes (öEStG). Österreichische Gesellschaften führen ein Evidenzkonto, in dem Einlagen der Gesellschafter festgehalten sind. Rückzahlungen aus diesem Konto sind steuerfrei, reduzieren aber die Anschaffungskosten der Aktien. Diese steuerliche Behandlung ist auch auf vergleichbare Transaktionen ausländischer Gesellschaften anzuwenden. Die Führung eines Evidenzkontos für ausländische Gesellschaften ist nicht zwingend notwendig, es muss aber im Einzelfall nachgewiesen werden können, dass es sich um eine mit der österreichischen Einlagenrückzahlung vergleichbare Transaktion handelt. Diese Überprüfung richtet sich nach österreichischem Recht.

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