Eine Darstellung der möglichst stolperfreien gesellschaftsrechtlichen. Schritte auf dem Weg von einer Seite der Landesgrenze auf die andere.

Nicht nur die Freizügigkeit natürlicher Personen ist ein wichtiger Bestandteil der Schweizer Wirtschaft, sondern auch die Möglichkeit, ohne grössere Komplikationen als bestehende juristische Person aus dem Ausland in der Schweiz Fuss zu fassen. Die folgenden Ausführungen zeigen anhand der grenzüberschreitenden Sitzverlegung die wichtigsten zivilrechtlichen Aspekte auf, die sich bei diesem wichtigen Migrationsschritt für Gesellschaften aus dem Ausland ergeben. Das schweizerische Recht ermöglicht ausländischen Gesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen, sich ohne Neugründung oder Liquidation dem schweizerischen Recht zu unterstellen.1 Eine solche Immigration einer ausländischen Gesellschaft in die Schweiz mittels grenzüberschreitender Sitzverlegung2 ist in Art. 161 f. des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) geregelt. Die grenzüberschreitende Sitzverlegung ist identitätswahrend und damit ein Wechsel des Rechtskleids von einer ausländischen Rechtsordnung in die schweizerische Rechtsordnung unter Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit.3

Damit unterscheidet sich die Immigration von einem reinen Domizilwechsel in die Schweiz ohne Rechtsanpassung sowie von der Errichtung einer schweizerischen Zweigniederlassung durch eine ausländische Gesellschaft gemäss Art. 160 IPRG. Nachfolgend werden die Voraussetzungen für eine Immigration nach IPRG am Beispiel von Kapitalgesellschaften wie Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung genauer betrachtet.

Voraussetzungen der Immigration einer ausländischen Gesellschaft

Eine ausländische Gesellschaft kann sich dem Schweizer Recht unterstellen, wenn (i) das ausländische Recht dies gestattet, (ii) die Gesellschaft die Voraussetzungen des ausländischen Rechts erfüllt, und (iii) die Anpassung an eine schweizerische Rechtsform möglich ist.4

Im Gegensatz zur Schweiz, wo sich das Personalstatut nach dem von den Gründern beim Gründungsakt gewählten Recht bestimmt (Gründungstheorie), folgen andere Rechtsordnungen der Sitztheorie.5 Gemäss der Sitztheorie untersteht eine Gesellschaft dem Recht des Staats, in dem die Gesellschaft tatsächlich verwaltet wird, weshalb Rechtsordnungen mit der Sitztheorie die internationale Sitzverlegung im rechtstechnischen Sinne nicht kennen.6 Die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Sitzverlegung ist in der Praxis deshalb oder wegen anderen Restriktionen im ausländischen Recht regelmässig ein Problem, weshalb diese Frage früh im Prozess mit einem Rechtsexperten des ausländischen Rechts geklärt werden muss. Die Gesellschaft hat einen Nachweis über die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Sitzverlegung im ausländischen Recht einzureichen.7 Mit dem Nachweis muss nicht die materielle Zulässigkeit des Vorgangs im konkreten Einzelfall bestätigt werden, sondern es ist in generell- abstrakter Weise darzulegen, dass das ausländische Recht das Institut der internationalen Sitzverlegung im Grundsatz in der gleichen Ausgestaltung wie das schweizerische Recht ebenfalls kennt.8 Es ist jedoch nicht notwendig, dass die Sitzverlegung nach ausländischem Recht ausdrücklich zulässig ist, eine Duldung und Anerkennung des Fortbestehens der Gesellschaft unter dem schweizerischen Gesellschaftsstatut genügt.9

Die Anpassungsfähigkeit setzt voraus, dass die ausländische Rechtseinheit an diejenige Rechtsform des schweizerischen Rechts angepasst werden muss, die ihr am ehesten entspricht.10 Wegen des Numerus Clausus der Rechtsformen im schweizerischen Gesellschaftsrecht muss die ausländische Rechtseinheit hinsichtlich ihres Typus und ihrer Struktur der äquivalenten schweizerischen Rechtsform zugeordnet werden kön nen.11 Beispielweise kann eine luxemburgische SA an eine AG angepasst werden und eine luxemburgische SARL an eine GmbH. Soll hingegen die SARL mittels grenzüberschreitender Sitzverlegung an eine AG angepasst werden, ist die SARL nach luxemburgischen Recht und vor der Sitzverlegung zuerst in eine SA umzuwandeln.12 Gleich wie bei der Zulässigkeit hat die Gesellschaft auch bezüglich der Anpassungsfähigkeit einen Nachweis zu erbringen.13 Der Nachweis kann auf verschiedene Arten erbracht werden, so beispielsweise mit einem Gutachten einer sachlich kompetenten unabhängigen Institution wie das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung oder einer unabhängigen Fachperson.14

Problematisch betreffend Anpassungsfähigkeit sind beispielsweise aussergewöhnliche Vorzugsrechte oder spezielle Formen von Beteiligungsrechten, welche dem schweizerischen Recht fremd sind. In solchen Fällen sind die Beteiligungsrechte vor der Immigration anzupassen. Nicht zwingend aber empfehlenswert ist die vorgängige Anpassung des Grundkapitals in CHF sofern das ausländische Recht dies gestattet.15 Ist eine ausländische Rechtseinheit mit dem schweizerischen Recht inkompatibel, weil sie ihre rechtliche Organisation unter dem ausländischen Recht nicht entsprechend anpassen kann, führt der einzige Weg für eine Inkorporation in der Schweiz nur über die Neugründung.16

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Footnotes

1. PETER V. KUNZ/RODRIGO RODRIGUEZ, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Anton K. Schnyder/ Stephen V. Berti (Hrsg.), Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013 (zit. KUNZ/RODRIGUEZ, BSK IPRG), Art. 161 N 1.

2. Im vorliegenden Artikel werden «Immigration» und «grenzüberschreitende Sitzverlegung» als Synonyme verwendet.

3. PETER R. ALTENBURGER/MASSIMO CALDERAN/WERNER LEDERER, Schweizerisches Umstrukturierungsrecht, Ein Handbuch zum Fusionsgesetz, zur Handelsregisterverordnung und zum Steuerrecht, Zürich/Basel/Genf 2004, S. 316 ff.

4. Vgl. Art. 161 Abs. 1 IPRG.

5. RODRIGO RODRIGUEZ/DANIEL GIRSBERGER, Die Sitzverlegung im europäischen Gesellschaftsrecht - Auswirkungen auf die Schweiz?, in: SZIER 2004, S. 560 f.

6. RODRIGO RODRIGUEZ/DANIEL GIRSBERGER, Die Sitzverlegung im europäischen Gesellschaftsrecht - Auswirkungen auf die Schweiz?, in: SZIER 2004, S. 560 f.

7. Vgl. Art. 126 Abs. 2 lit. b HRegV.

8. CHRISTIAN CHAMPEAUX in: Rino Siffert/Nicholas Turin (Hrsg.) Stämpflis Handkommentar, Handelsregisterverordnung (HRegV), Bern, 2013 (zit. CHAMPEAUX, Stämpflis Handkommentar, HRegV), Art. 126 N 19; KUNZ/RODRIGUEZ, BSK IPRG, Art. 161 N 4.

9. JOLANTA KREN KOSTKIEWICZ, IPRG/LugÜ Kommentar Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht, Lugano-Übereinkommen und weitere Erlasse, 2. Aufl., Zürich 2019, Art. 161 N 1; KUNZ/RODRIGUEZ, BSK IPRG Art. 161 N 4.

10. CHAMPEAUX, Stämpflis Handkommentar, HRegV, Art. 126 N 24.

11. KUNZ/RODRIGUEZ, BSK IPRG, Art. 161 N 5.

12. Eine grenzüberschreitende Umwandlung ist im IPRG nicht vorgesehen.

13. Vgl. Art. 126 Abs. 2 lit. c HRegV.

14. CHAMPEAUX, Stämpflis Handkommentar, HRegV, Art. 126 N 26.

15. Die laufende Aktienrechtsrevision wird künftig ein Grundkapital in EUR und USD ermöglichen (vgl. Art. 621 E-OR).

16. CHAMPEAUX, Stämpflis Handkommentar, HRegV, Art. 126 N 24.

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