I. Grundlagen

A. Besonderheiten der Stromversorgung

Elektrische Energie (Strom) ist aus der modernen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Wegen der Kapitalintensität, der grossen volkswirtschaftlichen Bedeutung und den technischen Eigenheiten war die Stromversorgung lange Zeit durch die Aneinanderreihung von Gebietsmonopolen gekennzeichnet. Charakteristikum dieser Monopolordnung war das Zusammenfallen von Netzbetrieb und Energielieferung in ein und demselben Betrieb. Jeder Verbraucher sah sich einem einzigen Versorgungsunternehmen gegenüber.

Angestossen durch den technologischen Fortschritt wurde die Monopolisierung der Stromversorgung ab den 1980er-Jahren weltweit infrage gestellt. Seitens der Wissenschaft wurde vorgeschlagen, eine Trennung der Wertschöpfungskette in die Bereiche Produktion, Netz und Handel vorzunehmen und nur noch das Netz als Monopol gelten zu lassen.1 Die Trennung sollte Wettbewerb (und damit tiefere Preise) in die Bereiche Produktion und Handel bringen.2

Damit der Wettbewerb in den Bereichen Produktion und Handel überhaupt einsetzen kann, muss der diskriminierungsfreie Zugang zum Netz gewährleistet werden. Das wird erreicht, indem (i) der Netzbetrieb von der Elektrizitätsproduktion entflochten wird (sogenanntes Unbundling3), (ii) die Netzbetreiber verpflichtet werden, Dritten ihr Netz gegen Entschädigung diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen (sogenannte Durchleitungspflicht oder Third Party Access) und (iii) Quersubventionierungen zwischen dem Netzbetrieb und den übrigen Tätigkeitsbereichen untersagt sind.

Die Durchleitungspflicht ist das Kernstück der Liberalisierung, da damit der Endverbraucher in die Lage versetzt wird, seinen Stromlieferanten frei zu wählen und die Stromlieferanten somit zueinander in Wettbewerb treten. Mit «Liberalisierung des Strommarktes» (auch Marktöffnung genannt) ist primär die freie Wahl des Stromlieferanten gemeint.4 In der Schweiz wurde die Liberalisierung mit dem Stromversorgungsgesetz (StromVG) teilweise eingeführt (siehe dazu N. 13.11).

Die Netzbetreiber5 erhalten als Entschädigung für die Nutzung des Netzes von allen am Netz angeschlossenen Endverbrauchern6 ein Netznutzungsentgelt.7 Angesichts des Netzes als natürliches Monopol8 muss das Entgelt jedoch so festgelegt sein, dass der Netzbetreiber allenfalls einen Gewinn, jedoch keinen unangemessenen Monopolgewinn erzielen kann. Da der Netzbetreiber gleichzeitig auch Stromlieferant sein kann, muss zudem sichergestellt sein, dass der Netzbetreiber nicht die von ihm mit Strom belieferten Endverbraucher bevorzugt, indem er einen Teil der Energiekosten mit dem von allen an seinem Netz angeschlossenen Endverbrauchern zu bezahlenden Netznutzungsentgelt deckt. Dies wäre eine unzulässige Quersubventionierung, welche zur Verzerrung des Wettbewerbs im Bereich Produktion und Handel führen würde.

Da die Elektrizitätsversorgung auf ein zusammenhängendes Transportnetz angewiesen ist, kommt dem Stromnetz für die Versorgungssicherheit eine entscheidende Rolle zu. Das Netz stellt das Nadelöhr der Stromversorgung dar. Ein Endverbraucher kann nur versorgt werden, wenn er über ein Leitungsnetz mit dem Stromproduzenten in ständiger und unmittelbarer Verbindung steht. Daher bilden die Existenz und die Leistungsfähigkeit des Netzes (Leitungskapazität) zentrale Voraussetzung für die Versorgungssicherheit.

Zusätzlich zur Existenz des Netzes ist der Betrieb des Stromnetzes für die Versorgungssicherheit von entscheidender Bedeutung: Die technischen Eigenschaften der Netze erlauben nur geringe Spannungs- und Frequenzschwankungen. Übersteigt die Entnahme (Ausspeisung) von Strom die Einspeisung ins Netz, kann das Netz wegen Überbelastung zusammenbrechen. Diese Gefahr wird durch den Umstand verschärft, dass Strom nur sehr beschränkt speicherbar ist. Aus diesem Grund und wegen der physikalischen Besonderheit, dass sich Strom mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegt, müssen Stromproduktion (Einspeisung ins Netz) und Stromverbrauch (Ausspeisung) praktisch zeitgleich und in gleicher Menge erfolgen.

Die laufende Abstimmung von Ein- und Ausspeisung ist Aufgabe der Netzbetreiber, indem je nach Situation die fehlende oder überschüssige Energie mithilfe von Ausgleichsenergie ausgeglichen wird, welche zu diesem Zweck jederzeit als Regel energie abrufbar vorgehalten werden muss.9 Der Netzbetreiber schliesst dazu z.B. im Vorfeld mit Stromproduzenten (oder auch grossen Endverbrauchern, z.B. einer Betreiberin von Tiefkühllagern) einen Vertrag ab, welcher dem Netzbetreiber erlaubt, die Erhöhung oder Senkung der Stromproduktion (resp. die Erhöhung oder Senkung des Stromverbrauchs) zu verlangen. Diese für den sicheren Betrieb der Netze notwendigen Hilfsdienste werden Systemdienstleistungen genannt (abgekürzt und nachfolgend «SDL»).

Das Schweizer Stromnetz besteht aus einem Übertragungs- und einem Verteilnetz und ist unterteilt in sieben Netzebenen (nachfolgend auch «NE»). Je nach Netzebene wird das Netz mit einer anderen Spannung betrieben (daher auch der synonyme Begriff «Spannungsebene»). Das Übertragungsnetz (betrieben mit der Spannung 220/380 kV) wird als Netzebene 1 (NE1) bezeichnet, in welche ein Teil der Produktion (vor allem aus den Gebirgskantonen) eingespeist wird. Die NE1 wird von der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid betrieben. Die Netzebenen 2, 4 und 6 dienen der Transformation der Spannung runter von 220/380 kV auf 230/400 Volt. Die meisten Endverbraucher (insbesondere die Haushalte) sind an der Netzebene 7 (NE7) mit einer Spannung von 230/400 Volt angeschlossen. Grund für die sieben Netzebenen ist die höhere Transportkapazität und der tiefere Transportverlust bei höherer Spannung. Die Funktionsweise des Stromnetzes lässt sich mit dem Strassennetz veranschaulichen: Das Übertragungsnetz entspricht der Autobahn, das Verteilnetz der Gemeindestrasse.

Die Schweizer Stromversorgung wird von einigen grossen Unternehmen (namentlich Alpiq, Axpo, BKW, Swissgrid) und mehreren hundert kleineren Unternehmen oder Gemeindeabteilungen sichergestellt. Ungefähr 80% der Stromversorgung befinden sich letztlich in öffentlicher Hand auf Stufe der Kantone und Gemeinden. Der Bund ist traditionell nicht Eigner (dies im Unterschied z.B. zur Telekommunikation, Bahn, Post).

To continue reading this article, please click here

Footnotes

1 Bodmer/Borner, 12 f.

2 Der Marktmechanismus in den Bereichen Produktion und Handel sollte aufgrund des Konkurrenzdrucks und des damit verbundenen Kostendrucks günstigere Preise und angemessenere Investitionen (allokative Effizienz) hervorbringen. Fehlinvestitionen lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Preise überwälzen. Die zu erwartenden tieferen Preise wurden als wichtiges Argument für die Liberalisierung des Schweizer Strommarktes angeführt.

3 Das StromVG schreibt nur für das Übertragungsnetz die eigentumsrechtliche Entflechtung vor (Art. 18 Abs. 2 StromVG). Im Verteilnetz ist nur die buchhalterische Entflechtung zwingend (Art. 10 Abs. 3 StromVG).

4 Der Begriff Liberalisierung lässt vermuten, dass Regulierung abgebaut wird. Dies war bei der Liberalisierung des Schweizer Strommarktes mit Ausnahme der freien Lieferantenwahl nicht der Fall. Erst das StromVG führte z.B. eine weitgehende Regulierung des Strompreises ein.

5 Der Anspruch des Netzbetreibers auf das Netznutzungsentgelt ist unabhängig von den Eigentumsverhältnissen am Netz (BVGer, Urteil A-8630/2010 vom 6. März 2010, E. 4.4).

6 Das StromVG definiert den Begriff «Endverbraucher» wie folgt: «Kunden, welche Elektrizität für den eigenen Verbrauch kaufen.» (Art. 4 Abs. 1 Bst. b StromVG).

7 Das StromVG verwendet neben dem Begriff «Netznutzungsentgelt» den Begriff «Netznutzungstarif ». Die beiden Begriffe sind Synonyme. Es wird bewusst nicht der Begriff «Netznutzungspreis » verwendet, da im Bereich des Netzes kein Wettbewerb spielt und somit kein Preis als Ergebnis von Angebot und Nachfrage resultieren kann (vgl. Weber/Mannhart, 456, Fn. 21).

8 Der Bau eines flächendeckenden Netzes ist sehr kapitalintensiv. Wenn diese Kosten auf alle Endverbraucher verteilt werden, kann ein Netz den Markt zu tieferen Durchschnittskosten versorgen als zwei oder drei Netze. Aus dieser wirtschaftlichen Überlegung und auch aus Gründen des Landschaftsschutzes ist die Verlegung eines Parallelnetzes auch in Zukunft unwahrscheinlich. Der Netzeigentümer verfügt daher über eine natürliche Monopolstellung.

9 In der Schweiz kommt diese Aufgabe primär der Swissgrid AG (nachfolgend «Swissgrid») in ihrer Funktion als Betreiberin des Übertragungsnetzes zu (vgl. Art. 18 und 20 StromVG).

Previously published in Fachhandbuch Verwaltungsrecht

The content of this article is intended to provide a general guide to the subject matter. Specialist advice should be sought about your specific circumstances.