Einleitung

Die Geschäftsführerhaftung nach deutschem Recht zählt weltweit mit zu den schärfsten Haftungsregimen. Den Geschäftsführer trifft einen umfassenden Pflichtenkatalog, der von allgemeinen Organisations-, Überwachungs-, Sorgfalts- und Treuepflichten bis hin zu spezialgesetzlich normierten Sondertatbeständen reicht. Stets hat der Geschäftsführer die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Haftungserleichterungen sieht das Gesetz – anders als bei Arbeitnehmern – nicht vor. Bereits bei geringster Fahrlässigkeit haftet er unbegrenzt auf den vollen Schaden. Zusätzlich trifft den Geschäftsführer die Beweislast. Er muss also im Schadensfall darlegen und beweisen, dass ihm kein schuldhafter Pflichtenverstoß vorgeworfen werden kann. Dies ist insbesondere dann schwierig, wenn nicht gar faktisch unmöglich, wenn der Geschäftsführer aus dem Unternehmen ausgeschieden ist und keinen Zugriff mehr auf die streitrelevanten Geschäftsunterlagen hat. Da verwundert es nicht, dass Geschäftsführer bei Amtsantritt regelmäßig auf den Abschluss einer D&O-Versicherung bestehen. Hierbei handelt es sich um eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, die das Unter nehmen als Versicherungsnehmerin zu Gunsten seiner Organe und leitenden Mitarbeiter (versicherte Personen) abschließt. Im Schadensfall hat der Ver sicherer unbegründete Haftpflichtansprüche gegen die Geschäftsleitung abzuwehren und sie von begründeten Forderungen freizustellen. Dass dieser Ver sicherungsschutz aber lückenhaft ist, hat jüngst wieder eine Entscheidung des OLG Düsseldorf gezeigt (Urteil vom 20. Juli 2018, Az. I-4 U 93/16). Diese erging zu einem der haftungsträchtigsten Szenarien überhaupt, nämlich der Geschäftsführung in Insolvenznähe. Ausgerechnet hier wurde der Geschäftsführerin Versicherungsschutz versagt.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf im Detail

Der Rechtsstreit betraf die Klage der Geschäftsführerin einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) gegen den D&O-Versicherer. Zuvor war über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter hatte die Geschäftsführerin erfolgreich, insbesonde re auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen, die die Gesellschaft nach Eintritt der Insolvenzreife vor Insolvenzantragstellung an ihre Gläubiger geleistet hatte. Anspruchsgrundlage war § 64 Satz 1 GmbHG. Diese Vorschrift konstituiert die persönliche Haftung der Geschäftsführer für Zahlungen der Gesellschaft an ihre Gläubiger, die trotz Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder der Feststellung der Überschuldung der Gesellschaft geleistet worden sind.

Die streitgegenständliche D&O-Versicherung gewährte Versicherungsschutz für den Fall, dass eine versicherte Person ... wegen einer ... Pflichtverletzung ... für einen Vermögensschaden von der Versicherungsnehmerin oder einem Dritten (hierzu zählt auch der Insolvenzverwalter) auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird ..." (zitiert nach dem Urteil des OLG Düsseldorf). Der Versicherer verweigerte Deckungsschutz und machte unter anderem den Ausschlusstatbestand einer wissentlichen Pflichtverletzung der Geschäftsführerin geltend. Das LG Mönchengladbach bestätigte erstinstanzlich diese Rechtsauffassung des beklagten Versicherers und wies die Klage insoweit ab (LG Mönchengladbach, Urteil vom 4. Mai 2016, Az. 1 O 143/14). Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein.

Das OLG Düsseldorf sah eine wissentliche Pflichtverletzung als nicht erwiesen an. Gleichwohl verneinte es eine Eintrittspflicht des beklagten Versicherers in Bezug auf die Haftung der Geschäftsführerin nach § 64 Satz 1 GmbHG. Bei § 64 Satz 1 GmbHG handele es sich nämlich nicht um einen gesetzlichen Haftpflichtanspruch, der unter den Versicherungsschutz der D&O-Versicherung falle. Die Klägerin könne keinen Versicherungsschutz beanspruchen, weil sie nicht wegen eines Vermögensschadens" im Sinne der Versicherungspolice in Anspruch genommen worden sei. Schutzzweck der Norm sei es nicht, einen Schaden vom Vermögen der Gesellschaft abzuwenden, sondern die verteilungsfähige Insolvenzmasse im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu erhalten. Die Haftung aus § 64 GmbHG bestehe unabhängig davon, ob die Gesellschaft überhaupt eine Vermögenseinbuße erlitten habe. Es handele sich bei § 64 GmbHG daher um einen Ersatz anspruch eigener Art", der nicht mit einem Schadenersatzanspruch gleichgesetzt werden könne. Die Auslegung der einschlägigen Versicherungsbedingungen ergebe bei verständiger Würdigung durch einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass ein solcher Ersatzanspruch eigener Art nicht vom Wortlaut der Versicherungspolice gedeckt sei und folglich kein Versicherungsschutz bestehe.

Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen. Hiergegen ist eine Nichtzulassungsbeschwerde anhängig (BGH, Az. IV ZR 186/18).

Praxisfolgen

Das Urteil des OLG Düsseldorf ist zwar noch nicht rechtskräftig. Jedoch sind die Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde im Allgemeinen gering. Hinzu kommt, dass dieselbe Rechtsauffassung auch schon zuvor das OLG Celle angedeutet hatte, wenn auch nur in einem Beschluss nach summarischer Prüfung und ohne eingehende Begründung (OLG Celle, Beschluss vom 1. April 2016, Az. 8 W 20/16). Zudem entspricht die Qualifizierung des § 64 GmbHG als Ersatzanspruch eigener Art" der ständigen Rechtsprechung des BGH, auch wenn diese in keinem versicherungsrechtlichen Kontext erging. Die Argumentation des OLG Düsseldorf ist daher nicht von der Hand zu weisen. In der Tat setzt der Anspruch nach § 64 GmbHG keinen Schaden der Gesellschaft voraus. Ein solcher entsteht auch nicht, wenn auf eine berechtigte Forderung gezahlt wird. Denn der Zahlungsabfluss wird durch das Erlöschen der getilgten Gesellschaftsverbindlichkeit kompensiert. Das Vermögen der Gesellschaft bleibt somit gleich. Es ist daher keineswegs fernliegend, dass sich die Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf durchsetzen und auch den Segen" des BGH finden wird.

In der Praxis würde dies zu einer empfindlichen Deckungslücke für die betroffene Geschäftsleitung führen. Gerade in der Krise der Gesellschaft lauern zahlreiche Fallstricke für die Geschäftsführer. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob bereits Insolvenzreife eingetreten ist. Zudem hängt es oft von den Zufälligkeiten des Einzelfalls ab – insbesondere von den vorhandenen Beweismitteln –, ob der Geschäftsführer nach § 64 GmbHG in Anspruch genommen wird oder etwa auf Schadenersatz wegen Insolvenzverschleppung nach §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO. Von diesem Zufall kann es dann auch abhängen, ob der Geschäftsleiter Deckungsschutz erhält oder nicht.

Die Argumentation des OLG Düsseldorf mag aus der Perspektive der Vertragsparteien der D&O-Versicherung, nämlich der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin und dem Versicherer nachvollziehbar sein. Da der Versicherungsnehmerin durch die Zahlungen nach Insolvenzreife kein Schaden entsteht, hat sie kein unmittelbares Eigeninteresse am Eintreten des Versicherers. Soweit die Gesellschaft die D&O- Police (auch) deshalb abgeschlossen hat, um sich vor dem Bonitätsrisiko ihrer Geschäftsleitung zu schützen (Stichwort Bilanzschutz), spielt dieser Aspekt bei Zahlungen nach § 64 GmbHG keine Rolle, weil der Gesellschaft eben kein eigener Schaden entstanden ist. Demgegenüber trägt das Urteil den Interessen der klagenden Geschäftsführerin als versicherter Person ungenügend Rechnung. Für sie macht die juristische Feinheit keinen Unterschied, ob gegen sie ein Schaden ersatzanspruch oder ein Ersatzanspruch eigener Art" geltend gemacht wird. In beiden Fällen haftet sie unbegrenzt mit ihrem Privatvermögen. Zudem darf angezweifelt werden, ob für die Geschäftsführerin diese Deckungslücke tatsächlich nach der gebotenen aufmerksamen Lektüre" der Versicherungsbedingungen erkennbar war.

Fazit

Es ist daher jedem Geschäftsführer anzuraten, die D&O-Police seiner Gesellschaft auf diese Deckungslücke zu prüfen und ggf. eine Ergänzung des Versicherungsschutzes anzustreben. In jüngeren Policen ist der Ersatzanspruch nach § 64 GmbHG den Schaden ersatzansprüchen oft gleichgestellt, so dass der Geschäftsführer geschützt ist. Denn spätestens seit dem Beschluss des OLG Celle vom 1. April 2016 (siehe oben) ist die Problematik bekannt und von der Versicherungswirtschaft adressiert worden. Bei älteren Vertragswerken kann die potenzielle Deckungslücke durch einen klarstellenden Nachtrag zu den bestehenden Vertragsbedingungen geschlossen werden.

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