Am 21. August 2023 haben Deutschland und die Schweiz ein umfangreiches Änderungsprotokoll1 zum Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz (‚DBA D-CH‘)2 unterzeichnet. Das Änderungsprotokoll sieht zahlreiche Anpassungen des bestehenden DBA D-CH vor. Zum einen werden die OECD-Mindeststandards gemäss dem multilateralen Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Massnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (‚BEPS-Übereinkommen‘)3 auf bilateraler Ebene umgesetzt. Zudem werden gewisse Regelungen aus dem OECD-Musterabkommen 2017 (‚OECD-MA‘) in das DBA D-CH übernommen. Weiter soll das Änderungsprotokoll die Rechtssicherheit und die Zusammenarbeit in Steuersachen zwischen Deutschland und der Schweiz verbessern. Dies erfolgt u.a. durch die Aufnahme verschiedener bestehender Verständigungsvereinbarungen in das DBA D-CH. Auf die wesentlichen Anpassungen wird nachfolgend eingegangen.

Das DBA D-CH ist eines der relevantesten von den insgesamt über 100 Schweizer Doppelbesteuerungsabkommen.

Doppelbesteuerungsabkommen zielen in erster Linie auf die Vermeidung der mehrfachen Besteuerung von Personen mit internationalen Anknüpfungspunkten im Bereich der Einkommens-/Gewinn- und Vermögenssteuer ab. In jüngeren Jahren wird auch verstärkt die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung ins Visier genommen. Die meisten Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz basieren auf dem OECD-MA. Die letzte Anpassung des DBA D-CH geht auf das Jahr 2010 zurück.

WESENTLICHE ANPASSUNGEN

MISSBRAUCHSVORBEHALT

In Anlehnung an das BEPS-Übereinkommen werden mit dem vorliegenden Änderungsprotokoll Missbrauchsregelungen aufgenommen. Neu enthält bereits die Präambel des DBA D-CH einen umfangreicheren Wortlaut, gemäss dem in Missbrauchsfällen keine Möglichkeit der Nichtbesteuerung oder reduzierten Besteuerung durch Inanspruchnahme des DBA D-CH bestehen soll.

In Art. 23 Abs. 3 DBA D-CH wird eine Generalklausel gegen Abkommensmissbrauch (sog. ‚Principal-Purpose-Test‘) nach dem Vorbild des OECD-MA eingeführt. Gemäss dieser wird eine Vergünstigung unter dem Abkommen grundsätzlich nicht gewährt, wenn der Erhalt der Vergünstigung einer der Hauptgründe für eine bestimmte Gestaltung war.

In Art. 24 Abs. 1 DBA D-CH wird die Freistellung von Dividendeneinkünften für einen deutschen Empfänger neu gefasst und insbesondere bei Dividenden steuerbefreiter Gesellschaften oder bei hybriden Gestaltungen nicht gewährt. Verweigert wird die Freistellung auch, wenn die Dividenden aus deutscher Sicht einer Person zuzurechnen sind, die nicht eine in Deutschland ansässige Gesellschaft ist. Ebenso wird in Art. 24 Abs. 3 DBA D-CH neu aufgenommen, dass die Freistellung nach dem Methodenartikel nicht gilt, wenn diese Einkünfte vom anderen Staat von der Besteuerung ausgenommen werden.

BETRIEBSSTÄTTEN / GEWINNERMITTLUNG

Im Änderungsprotokoll wird eine Vertreterbetriebsstätte neu bei sämtlichen Hilfstätigkeiten nach Art. 5 Abs. 3 DBA D-CH ausdrücklich verneint. Eine Ausdehnung des Betriebsstättenbegriffs gemäss OECD-MA ist nicht vorgesehen.

Die Gewinnermittlung für Betriebsstätten wird in Art. 7 DBA D-CH revidiert, indem der sog. ‚Authorized OECD Approach‘ eingeführt wird. Dabei wird die für die Ermittlung des steuerlich zurechenbaren Gewinns die Betriebsstätte wie ein selbständiges und unabhängiges Unternehmen behandelt. Die bisher alternativ zulässige quotale Gewinnaufteilung wird nicht mehr erwähnt.

Ferner wird in Art. 7 Abs. 3 DBA D-CH die Möglichkeit einer Gegenberichtigung bei doppelter Besteuerung von Stammhaus und Betriebsstätte aufgrund einer in Übereinstimmung mit dem DBA D-CH erfolgten Primärberichtigung vorgesehen, sofern die zuständige Behörde des anderen (erstveranlagenden) Vertragsstaates der Primärberichtigung zustimmt. Erfolgt keine solche Zustimmung, ist die Doppelbesteuerung auf Antrag in einem Verständigungsverfahren zu beseitigen.

Auch in Art. 9 Abs. 2 DBA D-CH wird nach dem Vorbild des OECD-MA neu eine Gewinnberichtigungsklausel bei konzerninternen Leistungen verankert. Demnach sind die Schweiz bzw. Deutschland grundsätzlich verpflichtet, bei Verrechnungspreis-Gewinnkorrekturen eine entsprechende Gegenberichtigung beim anderen Unternehmen vorzunehmen.

WEITERE ANPASSUNGEN AN DAS OECD-MA

Im Einklang mit dem OECD-MA wird die Besteuerung der selbständigen Erwerbstätigkeit (aktuell in Art. 14 DBA D-CH geregelt) gestrichen und neu unter Art. 7 DBA D-CH erfasst, indem gemäss neuer Definition eine Geschäftstätigkeit auch die Ausübung einer freiberuflichen oder sonstigen selbständigen Tätigkeit umfasst.

In den Artikeln zur Inanspruchnahme einer Quellensteuerreduktion für Dividenden, Zinsen und Lizenzen wird klargestellt, dass die vorgesehenen Entlastungen nur gelten, wenn die im anderen Vertragsstaat ansässige Person auch nutzungsberechtigt ist.

Ferner erfolgen gewisse Präzisierungen in Art. 10 Abs. 3 DBA D-CH hinsichtlich der Voraussetzungen für die vollständige Quellensteuerentlastung für Dividenden. Insbesondere wird die Beteiligungsschwelle einer beteiligten Gesellschaft von 20% auf 10% gesenkt und die erforderliche Mindesthaltedauer von 365 Tagen präzisiert. Ausserdem wird im Einklang mit dem OECD-MA ausdrücklich festgehalten, dass gewisse Umstrukturierungen diese Haltedauer nicht unterbrechen.

Weiter stellt das Änderungsprotokoll klar, dass Personengesellschaften nicht als „Gesellschaft“ für die vollständige Quellensteuerentlastung nach Art. 10 Abs. 3 bzw. Freistellung nach Art. 24 Abs. 1 Nummer 1 DBA D-CH qualifizieren. Dieser Einschub ist relevant, da Personengesellschaften (z.B. GmbH & Co. KG) seit 2022 in Deutschland für die Besteuerung als juristische Person optieren können und entsprechend als „Gesellschaft“ nach Art. 3 Abs. 1 lit e DBA D-CH gelten, aber weiterhin nicht in den Genuss der vollständigen Steuerbefreiung für Dividendenzahlungen aus qualifizierten Beteiligungen kommen sollen.

Unverändert bleibt die Regelung gemäss dem Protokoll zum DBA D-CH4 , wonach das Halten von Anteilen an einer Gesellschaft über eine Personengesellschaft der Anwendung von Art. 10 Abs. 3 DBA D-CH, d.h. der vollständigen Quellensteuerentlastung je nach Abkommensberechtigung der Gesellschafter der Personengesellschaft, nicht entgegensteht. Eine Personengesellschaft kann zudem weiterhin selbst einen Antrag auf Rückerstattung der Quellensteuer bis zum Residualsatz von 15% für Dividenden einer Gesellschaft in einem Vertragsstaat stellen, wenn mindestens 75% der Gewinne der Personengesellschaft Personen zustehen, die im anderen Vertragsstaat ansässig sind.5

Die Schiedsklausel in Art. 26 DBA D-CH wird in gewissen Punkten angepasst, insbesondere durch klare Fristen, welche eine zügigere Durchführung von Streitbeilegungsmassnahmen gewährleisten sollen.

UNSELBSTÄNDIGE ERWERBSTÄTIGKEIT / ÖFFENTLICHER DIENST

In Bezug auf die Besteuerung von unselbständiger Arbeit werden diverse Klarstellungen zu Art. 15 und 15a DBA D-CH in das Protokoll zum DBA D-CH aufgenommen. Unter anderem wird festgehalten, dass für Arbeitnehmer, deren Arbeitslohn gemäss Art. 15 Abs. 1 DBA D-CH in beiden Vertragsstatten teilweise steuerbar ist, die tatsächlichen Arbeitstage und Tätigkeitsorte vom Arbeitgeber zu bescheinigen sind. Weiter erfolgen Klarstellungen bezüglich des Besteuerungsrechts für Abfindungen, die je nach Charakter (Vorsorgecharakter, vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, sonstige Gründe) anders ausfallen. Die Grenzgängerregelungen, die bisher in Verständigungsvereinbarungen detaillierter geregelt waren, werden nun im Protokoll ausführlicher behandelt, um die Geltung in Deutschland sicherzustellen.6

Konkretisierungen und Anpassungen erfolgen auch für Vergütungen aus öffentlichem Dienst (Art. 19 DBA D-CH). Neu können Vergütungen (ohne Ruhegehälter) bei Tätigkeit in einem Vertragsstaat, die von einer in diesem Staat ansässigen Person geleistet werden, nur dort besteuert werden, es sei denn, die Person sei ausschliesslich zum Zweck der Erbringung der Dienste für den anderen Vertragsstaat dort ansässig geworden. Bisher war das Besteuerungsrecht von der Staatsangehörigkeit der die Dienste erbringenden Person abhängig. Insbesondere für Vorsorgezahlungen wird die Regelung in Art. 19 DBA D-CH im Protokoll spezifiziert und dabei ausdrücklich auf Grenzgänger eingegangen. Weitere Klarstellungen im Protokoll sollen die steuerlich relevante Abgrenzung zwischen öffentlichen Diensten und unternehmerischer Tätigkeit öffentlicher Arbeitgeber erleichtern.

GLOBALE MINDESTBESTEUERUNG

Eine Neuregelung findet sich auch in Bezug auf die geplante globale Anti-Base-Erosion-Regelung (‚GloBE‘), d.h. der OECD-Mindeststeuer (‚Pillar 2‘). Nach Art. 24 Abs. 4 DBA D-CH steht eine DBA-Freistellung, insbesondere von Gewinnen aus Betriebsstätten, einer Ergänzungssteuer gemäss den OECD-GloBE-Regelungen nicht entgegen.

Es ist zu erwarten, dass solche Klauseln in Zukunft vermehrt in Doppelbesteuerungsabkommen Eingang finden werden, um die Umsetzung der Mindeststeuer durch bilaterale Regelungen sicherzustellen.7

INKRAFTTRETEN

Bislang wurde das Änderungsprotokoll von der Finanzministerin der Schweiz und dem Finanzminister Deutschlands unterzeichnet. Es muss nun nach dem jeweiligen innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahren genehmigt werden. Nach der Genehmigung ist ein Austausch der Ratifikationsurkunden nötig. Ein Inkrafttreten der Änderungen ist frühestens am 1. Januar 2025 zu erwarten. Die Quellensteuerregelungen für Zinsen, Dividenden und Lizenzen gelten dann für am oder nach dem 1. Januar des Jahres des Inkrafttretens fällig werdende Einkünfte.

FAZIT

Das Änderungsprotokoll verankert den BEPS-Mindeststandard, nimmt bestimmte bereits im Rahmen von Verständigungsvereinbarungen bestehende Regelungen auf und passt das DBA D-CH in gewissen Punkten an das OECD-MA 2017 an. Die Unterzeichnung des Änderungsprotokolls zum wichtigen DBA D-CH nach langjährigen Verhandlungsrunden zwischen den beiden Staaten ist daher zu begrüssen. Auch wenn zahlreiche spezielle Regelungen im DBA D-CH wie die sogenannte ‚überdachende Besteuerung‘ oder ‚Abwandererbesteuerung‘ nicht angetastet werden, enthält das Änderungsprotokoll wichtige Aktualisierungen und erhöht die Rechtssicherheit bei der Anwendung der DBA-Regelungen.

Footnotes

1. Protokoll zur Änderung des Abkommens vom 11. August 1971 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 27. Oktober 2010 (‚Änderungsprotokoll DBA D-CH‘), abrufbar unter https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/das-efd/nsb-news_list.msg-id-97399.html.

2. Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (SR 0.672.913.62).

3. Multilaterales Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Massnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (SR 0.671.1). Für die Schweiz in Kraft seit 1. Dezember 2019.

4. Klarstellung zu Art. 10 Abs. 3 lit. b DBA D-CH im Revisionsprotokoll zum DBA D-CH, abgeschlossen am 12. März 2022 (SR 0.672.913.62).

5. Siehe Verhandlungsprotokoll vom 18.6.1971, Kommentar zu den Artikeln 10 bis 12 (BBl 1971 II 1423 ff., 1476).

6. Das Verhandlungsprotokoll vom 18.12.1991 zum Änderungsprotokoll vom 21. Dezember 1992 (SR 0.672.913.62) in Bezug auf Art. 15 a DBA D-CH wird entsprechend aufgehoben. Bezüglich der Auswirkungen von Home-Office auf Grenzgänger siehe Briefing vom Juli 2023, abrufbar unter https://www.baerkarrer.ch/de/publications/home-office-new-tax-and-social-security-situation-as-of-1-july-2023

7. Eine vergleichbare Klausel ist beispielsweise im kürzlich unterzeichneten Zusatzabkommen zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Frankreich enthalten.

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