Die sehr hohen Corona-Hilfen in Österreich (mehr als 40 Mrd. Euro) haben zu einem starken Einbruch der Insolvenzen während der letzten beiden Jahre geführt. Die aktuelle Insolvenzstatistik für Q1 2022 zeigt eine Trendumkehr zurück in Richtung VorKrisen-Niveau. Es besteht das Risiko, dass der Krieg in der Ukraine, die höchste Inflationsrate seit 40 Jahren, hohe Energie- und Rohstoffpreise, Lieferkettenunterbrechungen, die Auswirkungen des Klimawandels und der anhaltende Fachkräftemangel nicht nur zu angespannten Marktsituationen in vielen Branchen, sondern – nach Auslaufen der Corona-Hilfen, die ja in einigen Fällen zurückbezahlt werden müssen – spätestens Anfang 2023 zu einem starken Anstieg der Insolvenzen führen werden.

ReO – ein erstes Zwischenfazit

Außergerichtliche Restrukturierungen sind in Österreich dadurch geprägt, dass alle Gläubiger, deren Forderungen gekürzt werden sollen, zustimmen müssen. Dies kann einer Gläubigerminderheit eine überproportional starke Verhandlungsmacht geben. Der Gesetzgeber hat versucht, dies mit der Restrukturierungsordnung (ReO) hintanzuhalten.

Rund ein Jahr nach Inkrafttreten der ReO zeigt sich jedoch, dass die neuen präventiven Restrukturierungsverfahren, welche eine Sanierung durch eine gerichtlich bestätigte Mehrheitsentscheidung der Gläubiger mit der Möglichkeit eines cross-class cram-down vorsehen, in der Praxis – zumindest noch – keine Rolle spielen (außer als Druckmittel in außergerichtlichen Restrukturierungen).

Dies hat vielfältige Gründe. Neben den Besonderheiten der Corona-Situation (siehe oben) fehlen einerseits Präzedenzfälle, andererseits hat der Gesetzgeber – trotz Anregungen der Praxis – den Köcher an Möglichkeiten nur teilweise mit Pfeilen bestückt: Es fehlt die Möglichkeit, einen debt-equity swap (Umwandlung von Verbindlichkeiten in Eigenkapital) gegen den Willen der Anteilseigner durchzusetzen (wobei eine Zulässigkeit selbst bei Zustimmung umstritten ist). Die ReO enthält auch keine Möglichkeit, nachteilige Verträge begünstigt zu kündigen, was aber oft bei einer Restrukturierung auch der Aktivseite erforderlich ist. Schließlich kann auch nicht in Arbeitnehmer-Forderungen eingegriffen bzw. können Arbeitsverhältnisse nicht begünstigt gekündigt werden.

Grenzüberschreitende Restrukturierungen

Bei der (finanziellen) Restrukturierung von internationalen Unternehmensgruppen (und welche Unternehmensgruppe ist heutzutage nicht international?) herrscht deshalb nach wie vor große Skepsis gegenüber den österreichischen Restrukturierungstools.

Erschwerend kommt hinzu, dass von einem Restrukturierungsplan nach der ReO keine konzerninternen Sicherheiten – namentlich marktübliche Garantiender Konzerngesellschaften zugunsten der Kreditgeber, mögen diese auch wegen der Einlagenrückgewährbestimmungen eingeschränkt sein – mitumfasst werden können. Dies stellt einen wesentlichen Nachteil zum weiterhin beliebten, sehr flexiblen englischen Scheme of Arrangement (SoA) (in diesem Punkt aber auch zum deutschen StaRUG) dar.

Im Juni 2020 hat England die Restrukturierungslandschaft darüber hinaus um den englischen Part 26A-Restrukturierungsplan erweitert, welcher bereits in einem sehr frühen Krisenstadium genutzt werden kann. Daneben präsentiert sich auch die Niederlande als möglicher neuer RestrukturierungsHub. Das neue Dutch Scheme (WHOA) ermöglicht eine begünstigte Vertragsbeendigung, einen debt-equity swap und sieht im europäischen Vergleich niedrige Annahmeschwellen vor. Daneben können Restrukturierungsverfahren mehrerer Konzerngesellschaften konsolidiert sowie konzerninterne Sicherheiten in den Restrukturierungsplan einbezogen werden.

Vorteil gegenüber dem SoA ist, dass die öffentliche Variante des Dutch Schemes EU-weit anerkannt wird. Eine Anerkennung eines SoA richtet sich demnach – post-Brexit – nach dem jeweiligen nationalen Recht, was in Österreich bislang nicht getestet wurde. Am erfolgversprechendsten erscheint eine Anerkennung nach der ROM-I-VO, wenn die vom SoA erfassten Forderungen englischem Recht unterliegen (was bei Finanzierungsverträgen mit ausländischen Kreditgebern oft der Fall sein wird).

Forum Shopping

COMI-shifts – also die Verlegung der Hauptverwaltung, ohne den Sitz der Gesellschaft zu verändern – werden daher auch weiterhin ein beliebtes Mittel sein, um Zugang zur jeweils (aus der Sicht des Schuldners bzw. der dominierenden Gläubigergruppen) – günstigsten Restrukturierungs-Toolbox zu erhalten. Dass die Interessen hier je nach Gläubigergruppe divergieren können, zeigt das aktuelle Beispiel Galapagos (EuGH, Urteil vom 24.03.22, C-723/20):

Galapagos ist eine luxemburgische Holding Gesellschaft. Als Galapagos 2019 die Zinsen für ihre Anleihen nicht bedienen konnte, wurde von deren Direktoren auf Betreiben des Gesellschafters und vorrangiger Gläubigern der COMI nach England verlegt und dort ein Insolvenzantrag gestellt. Am selben Tag veranlassten Anleihegläubiger, über die ihnen eingeräumten Rechte, die Einsetzung neuer Geschäftsführer, welche durch das Anmieten von Büroräumlichkeiten in Düsseldorf versuchten, den COMI nach Deutschland zu verlegen; in der Folge stellten sie auch einen Insolvenzeröffnungsantrag beim Amtsgericht Düsseldorf, welches auch Sicherungsmaßnahmen anordnete. Der EuGH hatte im Ergebnis zu klären, ob deutsche oder englische Gerichte für das Insolvenzverfahren international zuständig sind; im ersten Fall wären die vom Amtsgericht Düsseldorf angeordneten Sicherungsmaßnahmen zulässig, im zweiten Fall aufzuheben. Der EuGH stellte – für Fälle vor dem Brexit – klar, dass durch die Insolvenzantragsstellung in einem Mitgliedsstaat eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates (hier: England) begründet wird (perpetuatio fori) und eine Verlegung des COMI nach Antragstellung unbeachtlich ist.

Die weitaus spannendere Frage nach den Grenzen der zuständigkeitsrechtlichen Beachtlichkeit einer kurzfristigen Begründung des Interessenmittelpunkts im Zuzugsstaat ließ der EuGH mangels Erheblichkeit aber leider unbeantwortet.

Originally Published by JUVE

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