Festschriften bieten dem Beitragenden eine Plattform, um sich mit einer gewissen Narrenfreiheit einem neuen Thema zu widmen. Das Thema jedoch sollte – falls oder damit der Geehrte den Beitrag sich jemals zu Gemüte führt – einen gewissen Bezug zum Jubilar haben. Dies fällt bei Anton («Toni») Schnyder nicht schwer, wenn man sich sein langjähriges juristisches Wirken in allen möglichen Funktionen (als Professor, Praktiker, Aufsichtsbehördenmitglied, Experte etc.) vor Augen führt.1 Zwei von Tonis Tätigkeitsschwerpunkten bilden dabei das Haftpflichtund das Privatversicherungsrecht. An deren Schnittstelle findet sich der unscheinbare Art. 65 Abs. 3 SVG, mit dessen Ergänzung der Gesetzgeber letzthin ein «Regressobligatorium» eingeführt hat. Damit, der Bestimmung und dem (fehlgeleiteten) gesetzgeberischen Prozess, befassen sich die nächsten Seiten, womit ein dritter Bezug zu Toni Schnyder gegeben ist, nämlich zur langjährigen (leider aber frustrierenden) legislativen Tätigkeit im Zusammenhang mit der VVG-Totalrevision.

I. Einleitung

Drei Merkmale prägen das schweizerische Strassenverkehrs-Haftpflichtrecht: Erstens die kausale Haftung des Motorfahrzeughalters für sein eigenes Verhalten sowie dasjenige des Fahrzeugführers und von Hilfspersonen (Art. 58 Abs. 1/4 SVG); zweitens die obligatorische Versicherung des Halters (sowie der Personen, für die er verantwortlich ist) zu vorgeschriebenen Minimalkonditionen (Art. 63 SVG); und drittens das direkte Forderungsrecht des Geschädigten gegen die Haftpflichtversicherung, die dem Geschädigtenanspruch keine Einreden aus dem Versicherungsvertrag entgegenhalten darf (Art. 65 Abs. 1 und 2 SVG). Die obligatorische Haftpflichtversicherung dient nicht nur dem Halter, der dadurch sein Haftungsrisiko verlagern kann; die Versicherung mit Einredenausschluss übernimmt auch (und insbesondere) das Risiko des Geschädigten, dass ein ausgewiesener Anspruch gegenüber einem haftbaren Halter oder Lenker mangels Bonität unbefriedigt bleibt.2 In der Praxis werden in aller Regel denn auch Haftpflichtansprüche aus Verkehrsunfällen gegen die Haftpflichtversicherung des Halters gerichtet.3 Anspruchsteller sind dabei primär die Sozialversicherungen, die auf den Unfallzeitpunkt in die Rechte und Nebenrechte des Geschädigten subrogieren,4 sekundär (in Bezug auf den Direktschaden) der Geschädigte.

Der Unfallverursacher bleibt in der beschriebenen Konstellation vorerst ausgeklammert. Er wird erst dann in den Haftpflichtfall einbezogen, wenn der Haftpflichtversicherer nach erfolgter Zahlung auf den Halter (als Versicherungsnehmer) bzw. dessen Hilfsperson (als Versicherter) Rückgriff nimmt.5 Bestand, Umfang und Voraussetzungen dieses Rückgriffsrechts beschlagen das Versicherungsvertragsverhältnis, welches im Wesentlichen durch den Versicherungsvertrag und das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt ist, aber bereits in Art. 65 Abs. 3 SVG erwähnt wird. Nach dieser Bestimmung kann der Haftpflichtversicherer Rückgriff nehmen, wenn er nach dem VVG «zur Ablehnung oder Kürzung seiner Leistung befugt wäre» (Art. 65 Abs. 3 Satz 1 SVG). Damit ist insbesondere6 Art. 14 VVG angesprochen, wonach der Versicherer keine Ersatzleistung schuldet, wenn der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte das befürchtete Ereignis absichtlich herbeigeführt hat (Art. 14 Abs. 1 VVG), beziehungsweise zu einer Leistungskürzung berechtigt ist, wenn der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte das Ereignis grobfahrlässig herbeigeführt hat (Art. 14 Abs. 2 VVG).7

Footnotes

1 Vgl. den illustrativen Querschnitt bei Anton K. Schnyder, Ausgewählte Schriften, Hrsg. A. Koller, St. Gallen/Zürich 2013.

2 Die gesetzliche Mindestdeckungssumme wurde letztmals per 1. Januar 2005 an die gestiegenen Lebenshaltungs- und Gesundheitskosten angepasst. Die vorgeschriebenen CHF 5 Mio. (Art. 3 Verkehrsversicherungsverordnung vom 20. November 1959 [SR 741.31]) waren aber schon bei ihrer Einführung bedeutungslos, da gemäss Bundesamt für Strassen (ASTRA) «bereits 99,7% [der Halter] über eine unbeschränkte oder eine Deckung von 100 Mio. CHF verfügen» (Medienmitteilung ASTRA vom 14.01.2004, abrufbar unter: ).

3 Die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung nähert sich insofern einer Unfallversicherungslösung zugunsten der Opfer von Strassenverkehrsunfällen (R. Schaer, Modernes Versicherungsrecht, Bern 2006, § 18 Rz. 27).

4 Die Sozialversicherungsträger treten gegenüber einem Dritten, der für den Versicherungsfall haftet, «im Zeitpunkt des Ereignisses bis auf die Höhe der gesetzlichen Leistungen in die Ansprüche der versicherten Person und ihrer Hinterlassenen ein» (Art. 72 Abs. 1 ATSG). Und: «Besteht ein direktes Forderungsrecht der geschädigten Person gegenüber dem Haftpflichtversicherer, so steht dieses auch dem in ihre Rechte eingetretenen Versicherungsträger zu. Einreden aus dem Versicherungsvertrag, die der geschädigten Person nicht entgegengehalten werden dürfen, können auch gegenüber dem Regressanspruch des Versicherungsträgers nicht vorgebracht werden» (Art. 72 Abs. 4 ATSG).

5 Nach BGE 91 II 226 bestehen aus Art. 63 Abs. 2 SVG auf einheitlicher Rechtsgrundlage – nämlich infolge des Vertragsabschlusses durch den Halter oder durch eine andere Person für ihn – zwei nach Gegenstand und persönlicher Berechtigung verschiedene Haftpflichtversicherungen: Diejenige des Fahrzeughalters für seine kausale Haftpflicht und die von Rechts wegen hinzutretende Versicherung anderer Personen für deren Verschuldenshaftung. 1 Vgl. den illustrativen Querschnitt bei Anton K. Schnyder, Ausgewählte Schriften, Hrsg. A. Koller, St. Gallen/Zürich 2013.

6 Eine Leistungsablehnung oder -kürzung nach VVG ist im Weiteren z.B. möglich bei Gefahrserhöhung (Art. 28 VVG), Anzeigepflichtverletzung (Art. 38 VVG) oder betrügerischer Anspruchsbegründung (Art. 40 VVG). – Vgl. z.B. W. Fellmann, Schweizerisches Haftpflichtrecht Band II: Haftung nach der gewöhnlichen Kausalhaftung des StSG und den Gefährdungshaftungen des SVG, des Transportrechts (TrG, EBG, BG Anschlussgleise, BSG und SebG) sowie des LFG, Bern 2014, N 936 f.

7 Für Halter (Versicherungsnehmer) und Lenker (Anspruchsberechtigter) gilt aufgrund des «doppelten » Versicherungsvertrages (Fn. 5): «Diese beiden auf demselben Vertragsabschluss beruhenden, jedoch die Haftpflichten verschiedener Personen aus verschiedenen Rechtsgründen betreffenden Versicherungen sind unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 VVG gesondert, jede für sich, zu beurteilen» (BGE 91 II 233). Trotz Art. 58 Abs. 4 SVG ist ein Regress gegen den Halter somit nur dann möglich, wenn er selbst grobfahrlässig gehandelt hat, nicht jedoch bei Grobfahrlässigkeit des Lenkers oder einer mitwirkenden Hilfsperson (vgl. BasK SVG-Landolt, Basel 2014, Art. 65, N 29).

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