Steht einem Betriebsrat, dem ein Arbeitnehmer unter dem Siegel der Verschwiegenheit etwas anvertraut, ein Zeugnisverweigerungsrecht in einem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren zu? Auf den ersten Blick möchte man angesichts des Vertrauensverhältnisses eine Verschwiegenheitspflicht und ein Zeugnisverweigerungsrecht annehmen. Tatsächlich ist die Rechtslage anders. Insbesondere in Strafverfahren steht Betriebsräten kein Zeugnisverweigerungsrecht zu, auch wenn die Beteiligten regelmäßig darauf vertrauen. Die Probleme, die daraus entstehen können, sind offensichtlich. Es ist damit zu rechnen, dass diese verstärkt auftreten werden, wenn – wie im Regierungsentwurf für ein Verbandssanktionengesetz vorgesehen – Betriebsräte zunehmend als Vertrauenspersonen der Arbeitnehmer in unternehmensinterne Aufklärungen einbezogen werden. Der vorliegende Beitrag will aus arbeitsund strafrechtlicher Sicht alle Beteiligten für das Dilemma des Betriebsrats sensibilisieren und Lösungswege aufzeigen.

I. Problem

Als Zeuge vor Gericht auszusagen, gehört zu den staatsrechtlich begründeten Pflichten eines jeden. Das Rechtsstaatsprinzip weist der Justiz die verbindliche Klärung rechtlicher Streitigkeiten und die Strafverfolgung zu. Dazu benötigt sie das erforderliche Aufklärungsinstrumentarium. Die Beweiserhebung ermöglicht die Aufklärung der Sachverhalte, über die zu entscheiden ist. Dabei sind Zeugenaussagen ein wichtiges, häufig sogar das zentrale Beweismittel. Die Justiz könnte ihre Aufgabe nicht erfüllen, wenn potenzielle Zeugen frei entscheiden könnten, ob sie aussagen wollen oder nicht. Daher die Zeugnispflicht – einerseits.

Daher die Zeugnispflicht – einerseits.

Andererseits: Der Aufklärungsanspruch des Einzelnen und der Gesellschaft insgesamt steht nicht über allem. Legitime Interessen unterschiedlichster Art können einer Aufklärung um jeden Preis entgegenstehen und ggf. das Aufklärungsinteresse überwiegen. Verfassungsrechtlich anerkannt steht dem Einzelnen ein geschützter Raum der freien Entfaltung und des Vertrauens zu, in den auch der Staat, hier als Justiz mit ihrem Aufklärungsanspruch, nicht eingreifen darf.

Und schließlich: Dem Staat ist es nicht nur untersagt, selbst in die geschützte Sphäre einzugreifen, er schützt die persönlichen Vertrauensbeziehungen zusätzlich dadurch, dass er in bestimmten Fällen einen Vertrauensbruch desjenigen, dem ein Geheimnis anvertraut wurde, unter Strafe stellt.

Diese Systematik ist dem Grunde nach klar und anerkannt. Weniger klar ist, wo die Grenzen zwischen den jeweiligen Bereichen verlaufen, oder – anders ausgedrückt – wie die unterschiedlichen Interessen jeweils zu gewichten sind. Das ist nicht in Stein gemeißelt, sondern immer wieder neu auszuhandeln und unterliegt einer Entwicklung, die eng mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung verknüpft ist. Dies bedeutet nicht, dass es in das Belieben des Einzelnen gestellt wäre zu entscheiden, ob er einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt und/oder ob ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Sowohl der staatliche Aufklärungsanspruch als auch das schutzwürdige Vertrauen des Einzelnen in die Verschwiegenheit desjenigen, dem er sich anvertraut oder anvertraut hat, erfordern verlässliche Regeln. Es obliegt dem Gesetzgeber die entsprechenden Regeln festzulegen. Aber sind diese Regeln im Falle der Betriebsräte tatsächlich verlässlich? Und sind sie angemessen?

II. Die gesetzliche Systematik

Verschwiegenheitspflichten und die Sanktionierung ihrer Verletzung einerseits sowie die Zeugnispflicht und Zeugnisverweigerungsrechte andererseits werden jeweils für sich geregelt. Vielfach, jedoch nicht immer, sind die jeweiligen Regelungen aufeinander abgestimmt. Wo das nicht der Fall ist, muss eindeutig geklärt sein, welcher Regelung und damit welchen Interessen die Rechtsordnung Vorrang einräumt.

1. Geheimhaltungspflichten des Betriebsrats

Mitglieder von Betriebsräten1 unterliegen Geheimhaltungspflichten nach Maßgabe des § 79 BetrVG, die sich auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse erstrecken. Die Verletzung dieser Geheimhaltungspflichten ist strafrechtlich bewehrt (§ 120 Abs. 1 BetrVG). Darüber hinaus hat der Betriebsrat Geheimnisse von Arbeitnehmern zu wahren, die ihm in seiner Eigenschaft als Betriebsrat bekannt geworden sind und über die nach dem BetrVG Stillschweigen zu wahren ist (§ 120 Abs. 2 BetrVG). Wie aus dem Gegenschluss zu § 120 Abs. 2 BetrVG folgt, erstreckt sich diese Geheimhaltungspflicht nicht auf Offenbarungen, die ein Arbeitnehmer dem Betriebsrat anvertraut (etwa über Fehlverhalten oder sonstige Missstände). Vielmehr sind nur diejenigen Fälle erfasst, in denen das Betriebsverfassungsgesetz selbst den Betriebsrat und seine Mitglieder zum Stillschweigen verpflichtet. Dies sind die folgenden vier Fälle:2

  • Arbeitsentgelt,BeurteilungundEntwicklung (§ 82Abs. 2S. 3BetrVG)
  • Einblick in die Personalakte (§ 83 Abs. 2 S. 3 BetrVG)
  • Zustimmungsverfahren bei personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 Abs. 1 S. 3 BetrVG)
  • Anhörung zu Kündigungen (§ 102 Abs. 2 S. 5 BetrVG)

Außerhalb dieser vier Themenbereiche besteht keine rechtliche Verschwiegenheitspflicht des Betriebsrats über Geheimnisse oder sonstige Umstände, die ihm der Arbeitnehmer mitteilt.3 Somit muss der Betriebsrat gerade in den delikaten Fällen, in denen sich Arbeitnehmer dem Betriebsrat anvertrauen, diese Umstände aus rechtlicher Sicht nicht geheim halten.

Footnotes

1 Im Folgenden werden Mitglieder von Betriebsratsgremien einem allgemeinen Brauch entsprechend auch selbst als Betriebsräte" bezeichnet. Ebenso bezieht sich der Begriff Betriebsrat" auch auf Gesamt- und Konzernbetriebsräte.

2 Annuß, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 16. Aufl. 2017, § 120, Rn. 17.

3 Annuß, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 16. Aufl. 2017, § 120, Rn. 17.

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Co-authored by Dr. Camilla Bertheau

Originally Published by Betriebs-Berater

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