Zu Zeiten, in denen auf der Welt vermehrt Handelsstreitigkeiten entfachen und nationalistisches Gedankengut auf fruchtbare Böden fällt, unterzeichnet Vietnam stetig Freihandelsabkommen mit neuen Partnern. So gewinnt das Land eine besonders attraktive Position im Welthandel, vor allem für Unternehmen auf der Suche nach Alternativen zu China. Das macht sich in der Wirtschaft des Landes bemerkbar, denn die Mittelschicht und ihr Konsum wachsen stark an. Vietnam bietet weitaus mehr als seine Nachbarn in Süd- und Südostasien und das ist zum Großteil der Positionierung des Landes im Netzwerk der weltweiten Handelsabkommen zu verdanken.

The Vietnam Model"

Ende Februar entschloss sich der nordkoreanische Präsident Kim Jong-Un nach dem Gipfeltreffen mit US-Präsident Trump in Hanoi dazu, einige Tage länger in Vietnam zu bleiben, um dortige Fabriken und Industrieparks zu besichtigen. Spätestens als daraufhin die Weltpresse "The Vietnam Model" als Vorzeigemodell für eine strategische Öffnung des nordkoreanischen Markts anpries, wurde deutlich, dass sich das Land in den letzten Jahren wirtschaftlich in eine positive Richtung bewegte.

Zur gleichen Zeit war der vietnamesische Außenminister Pham Binh Minh mit einer Delegation zu Besuch in Berlin und traf sich mit seinem Amtskollegen Heiko Maas, welcher nach gemeinsamen Gesprächen eine Neuausrichtung der Strategischen Partnerschaft" zwischen Vietnam und Deutschland verkündete. Nur einen Monat später reiste Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier mit einer hochrangigen Unternehmerdelegation nach Vietnam, führte unter anderem Gespräche mit Premierminister Nguyen Xuan Phuc und bezeichnete Vietnam als zentralen Wirtschaftspartner Deutschlands. Zudem weihte er in Ho-Chi-Minh-Stadt das hochmoderne Bürohochhaus Deutsches Haus" ein, welches bereits Bosch, Siemens, deutsche Startups wie EDUBAO und das deutsche Generalkonsulat zu ihren Mietern zählen kann.

Alternative zu China?

Der Zuzug internationaler Investoren nach Vietnam wird vom Wirtschaftswachstum des Landes angetrieben. Im ersten Quartal 2019 verzeichnete Vietnam ein reales BIP-Wachstum von 6,79 Prozent. Die USA sind Vietnams größter Exportmarkt, gefolgt von der EU und China. Vietnam hat im ersten Quartal auch 57,98 Milliarden US-Dollar für den Import von Waren ausgegeben, was einen Anstieg von 8,9 Prozent entspricht. Zu den wichtigsten Importprodukten gehörten Maschinen, Material für die Produktion, elektronische Produkte und Computerkomponenten.

Die Wertschöpfungsketten der Welt verschieben sich, und die Produktion zieht in Asien gen Süden. Einer dieser Ströme ist von Südchina nach Vietnam. Inmitten des Handelskrieges zwischen den USA und China exportiert Vietnam mehr in die USA als zuvor. Dieser Trend wird jedoch nicht nur vom Handelskonflikt angetrieben. Mindestlöhne in China steigen und bieten vor allem Textil- und Elektronikproduzenten nicht mehr das, wofür sie damals ihre Produktion nach China verlagerten. Auch die strikte Kontrolle des Internets in China ist ein Grund für ausländische Unternehmen, China zu verlassen. Des Weiteren reguliert China Investitionen in neun Sektoren, darunter zum Beispiel das verarbeitende Gewerbe, stärker als Vietnam.

Neben relativ günstiger Löhne und einer stabilen Regierung profitieren ausländische Investoren auch von einer exzellenten Integrierung Vietnams im globalen Handelsnetzwerk. Nach dem Beitritt Vietnams in die WTO im Jahr 2007 unterzeichnete Vietnam mehr als ein Dutzend Freihandelsabkommen.

Vietnam in ASEAN: AFTA und ACFTA

Der Beitritt Vietnams in den Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) 1995 war ein entscheidender Faktor, der zur Wirtschaftsöffnung des Landes beitrug. Zehn Jahre später stieg das Handelsvolumen zwischen den ASEAN-Staaten und Vietnam auf das Neunfache an und Investitionen der ASEAN-Staaten in Vietnam erhöhten sich um 120 Prozent. Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Vernetzung der Infrastruktur und vor allem der engere interkulturelle Austausch zählen zu den großen Erfolgen ASEANs.

Außerdem ist Vietnam mit dem Beitritt nicht nur Teil der Freihandelszone der ASEAN-Staaten (AFTA), sondern auch mehrerer Freihandelsabkommen, die ASEAN mit anderen Ländern und Regionen unterzeichnet hat, geworden. Eines davon ist das ASEAN-China Freihandelsabkommen (ACFTA), welches bevölkerungstechnisch mit zwei Milliarden Verbrauchern, die größte Freihandelszone der Welt ist. Ähnliche Abkommen hat ASEAN unter anderem mit Japan, Indien und Australien abgeschlossen.

Das EU-Vietnam Freihandelsabkommen (EVFTA)

Auch die EU hat ein Freihandelsabkommen mit Vietnam ausgehandelt. Die Zusammenarbeit zwischen der EU und Vietnam hat sich seit Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1996 drastisch verbessert. Dabei hat sich der bilaterale Handel in den letzten zwanzig Jahren mehr als verzwanzigfacht. Im neuen Freihandelsabkommen sollen zwei Drittel aller Importzölle sofort und der Rest in den kommenden zehn Jahren wegfallen.

Bis sich die EU und Vietnam 2005 darauf einigten, die Kooperation zu vertiefen, bestanden vietnamesische Exporte in die EU hauptsächlich aus Agrarprodukten, Textilien und Schuhen. Heute besteht fast die Hälfte der vietnamesischen Exporte in die EU aus Elektronikprodukten.

Trotzdem wird prognostiziert, dass besonders die vietnamesische Bekleidungs- und Schuhindustrie vom EVFTA profitieren wird. Die bisher auf das Exportvolumen von fast 9 Milliarden USD angefallenen Zölle von bis zu 9%, könnten in Zukunft wegfallen. Ebenso werden europäische Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau das Abkommen willkommen heißen, denn ihre Branche exportiert am meisten nach Vietnam und ist derzeit noch von durchschnittlich 3% Zoll betroffen.

Vietnam hat sich dazu bereit erklärt, fast alle Zölle auf EU-Importe von Maschinen und Textilien im Rahmen des Abkommens fallen zu lassen. Auch ungefähr die Hälfte aller Arzneimittelprodukte der EU werden mit dem Inkrafttreten des Abkommens zollfrei nach Vietnam exportiert werden können.

Das EVFTA soll Ende 2019 ratifiziert werden und Prognosen deuten bereits jetzt darauf hin, dass allein der Handelsvorteil Vietnam ein reales BIP-Wachstum von 0,1% verschaffen wird.

Positive Aussichten

Mit ASEANs drittgrößten Bevölkerung und einer wachsenden Mittelklasse dürfte sich die Wirtschaft Vietnams weiterhin positiv entwickeln. Dennoch ist das Land abhängig von ausländischen Direktinvestitionen und muss lernen, sich nicht nur auf diese zu verlassen und weiter in die High-Tech Industrie und Infrastruktur zu investieren. Auch das Geschäftsumfeld für KMUs muss verbessert werden, damit sich das Land weiter an die Spitzenposition für globale Lieferketten hocharbeiten kann. Die Regierung prüft auch die Devestitionen staatseigener Unternehmen, die zuweilen von Korruption und mangelnder Verantwortlichkeit betroffen sind.

Mit einer Flut von Unternehmen, die ihre Produktion nach Vietnam verlagern, steigen auch die Kosten für Land, Löhne und automatisierte Produktionslinien stetig. Jedoch bietet Vietnam ein stabiles Geschäftsumfeld, insbesondere für diejenigen, die in der ASEAN-Region und im größeren asiatisch-pazifischen Raum handeln möchten. Der Markt eignet sich insbesondere für Anleger, die die günstige Positionierung im Welthandel nutzen wollen, um ihre Produkte in die USA, in die EU und andere Märkte zu verkaufen. Gerade deshalb sollten ausländische Investoren den vietnamesischen Markt in Erwägung ziehen und ihre Entscheidungen dabei nicht zu spät treffen.

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