Adressaten des Kartellrechts sind primär Unternehmen. Der aktuelle WEKO-Entscheid zu Absprachen im Graubündner Baugewerbe zeigt, dass jedoch auch Verbände in den Anwendungsbereich des Kartellrechts fallen können. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die kartellrechtlichen Risiken von zwei typischen Verbandstätigkeiten und gibt Hinweise zur Kartellrechts-Compliance für Verbände und Unternehmen.

1 UNTERNEHMENSVERBÄNDE AUF DEM RADAR DER WETTBEWERBSBEHÖRDEN

Unternehmensverbände spielen in Untersuchungsverfahren der Schweizer Wettbewerbskommission (WEKO) regelmässig eine Rolle. Ende April 2018 erging der medial viel beachtete WEKO-Entscheid "Engadin I" betreffend angeblich kartellrechtswidriger Abreden im Baugewerbe in Graubünden. Die Untersuchung richtete sich sowohl gegen Bauunternehmen als auch gegen den Graubündnerischen Baumeisterverband (GBV). Nach Ansicht der Behörde habe der Verband in den Jahren von 1997 bis 2008 Sitzungen organisiert und geleitet, an denen einzelne Bauprojekte aufgeteilt und Offertsummen besprochen worden seien. Der GBV wurde hierfür zwar nicht mit einer Sanktion belegt, jedoch als Mitverursacher des Verfahrens im Umfang von rund CHF 35'000 bis 40'000 an den Verfahrenskosten beteiligt.

Schon in früheren Stellungnahmen wies das Sekretariat der WEKO darauf hin, "dass bei einer Zusammenarbeit im Rahmen von Verbänden das Risiko besteht, dass die beteiligten Unternehmen unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen begehen. Denn im Rahmen von Verbänden kommen unter Umständen alle wichtigen Konkurrenten eines Wirtschaftsbereichs zusammen, was die Bildung von Kartellen begünstigen kann" (RPW 2017/2, S. 272, Rz 8). Auch wenn ein pauschaler Kartellverdacht gegenüber Unternehmensverbänden klarerweise nicht gerechtfertigt ist, so zeigt die Aussage, dass die Wettbewerbsbehörden hinsichtlich der Aktivitäten von und in Verbänden sensibilisiert sind.

2 KARTELLRECHTSRELEVANZ VON VERBANDSAKTIVITÄTEN

2.1 ALLGEMEINES

Das Kartellrecht richtet sich an Unternehmen. Dies ergibt sich unmittelbar aus Art. 2 Kartellgesetz (KG). Allenfalls problematische Wettbewerbsabreden sind definiert als Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen auf gleicher oder verschiedener Marktstufen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken (Art. 4 KG). Anders als in einigen ausländischen Kartellrechtsordnungen sind Verbandsbeschlüsse somit nicht ausdrücklich erfasst. Sofern es sich bei den Verbandsmitgliedern um Unternehmen handelt, können die Verbandsaktivitäten dennoch zum Teilaspekt eines Verfahrens werden. Unter Umständen gerät der betroffene Verband mittelbar als "Plattform" für mögliche Kartellrechtsverstösse von Mitgliedsunternehmen oder wegen Unterstützungshandlungen (z.B im Fall "Engadin I" in Form der Organisation und Leitung von Sitzungen), welche als Wettbewerbsabrede qualifiziert werden könnten, in den Fokus der Wettbewerbsbehörden. Sofern der Verband selbst unternehmerisch tätig, d.h. dauerhaft als Nachfrager oder Anbieter von Waren oder Dienstleistungen am Markt auftritt, ist auch nicht auszuschliessen, dass er selbst als Unternehmen angesehen wird. Das Kartellgesetz kommt in solchen Fällen unmittelbar zur Anwendung und der Verband kann zum Gegenstand einer Untersuchung werden.

Unabhängig davon, ob ein Verband mittelbar oder unmittelbar von einer Untersuchung betroffen ist, zeigt sich, dass sich die Verbandstätigkeit dem Kartellrecht nicht entziehen kann. Auch wenn dem Verband, z.B. im Fall eines Kartellrechtsverstosses seiner Mitglieder nicht zwingend eine Sanktion droht, birgt allein der Umstand, dass der Verband in ein Untersuchungsverfahren involviert ist, das Risiko eines Reputationsschadens. Und wie der Fall "Engadin I" zeigt, besteht darüber hinaus das Risiko, dass die Wettbewerbsbehörde versucht, den Verband wegen Unterstützungshandlungen an den Verfahrenskosten zu beteiligen.

Die kartellrechtliche Relevanz von gewissen Verbandsaktivitäten wird nachfolgend anhand von zwei typischen Beispielen dargestellt.

2.2 VERBANDSSITZUNGEN

Eines der wichtigsten Tätigkeitsfelder eines Unternehmensverbands ist die Durchführungen von Verbandssitzungen, wie z.B. Jahresversammlungen, Vorstandssitzungen, Ausschusssitzungen etc. Charakteristisch für Verbandssitzungen jeglicher Art ist, dass dabei Wettbewerber aufeinander treffen. Auch wenn das eigentliche Motiv der Teilnahme an solchen Sitzungen im Regelfall nicht die Beteiligung an kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen ist, besteht in solchen Situationen grundsätzlich ein Risiko für kartellrechtswidriges Verhalten. Wie schon Adam Smith in The Wealth of Nations (1776) formulierte: "People of the same trade seldom meet together, even for merriment and diversion, but the conversation ends in a conspiracy against the public, or in some contrivance to raise prices." Das Zusammentreffen von Unternehmensvertretern derselben Branche kann die Gefahr bergen, dass die zulässige Erörterung öffentlich zugänglicher Marktdaten in einen kritischen Austausch von Informationen oder Absprachen über wettbewerbsrelevante Aspekte abgleitet. Dies gilt insbesondere für die Gespräche in der Kaffeepause sowie in "lockerer Runde" vor und nach dem offiziellen Teil einer Verbandssitzung. Als wettbewerbsrelevante Aspekte können grundsätzlich alle Informationen gelten, die geeignet sind, die Ungewissheit über das Marktverhalten von Wettbewerbern zu reduzieren. Insbesondere fallen hierunter Information z.B. über Preise, Preiserhöhungen, Preiskomponenten, Liefergebiete, Kunden und Mengen.

Wie die praktische anwaltliche Erfahrung zeigt, beschränken sich die kartellrechtlichen Risiken bei Verbandssitzungen jedoch nicht nur darauf, dass sich kritische Gespräche "am Rande ergeben". Es kann auch vorkommen, dass Ausschüsse, Arbeitskreise und vergleichbare Verbandsgremien von den daran beteiligten Unternehmensvertretern für kartellrechtswidrige Vereinbarungen genutzt werden, teilweise auch ohne Kenntnis, dass es sich hierbei um ein unzulässiges Verhalten handeln könnte.

Wie Fälle der Praxis gezeigt haben, wurden wettbewerbsrelevante Aspekte auch schon wissentlich oder unwissentlich zum Tagesordnungspunkt der Agenda eines Verbandstreffens erhoben. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Frage des Umgangs mit einer Rohstoffpreiserhöhung, welche die gesamte Branche trifft. Hier muss vermieden werden, dass Zeitpunkt und Höhe der Preisweitergabe in der Verbandssitzung diskutiert oder gar beschlossen werden. Schon der blosse Informationsaustausch oder die einseitige Information über entsprechendes zukünftiges Verhalten kann je nach Konstellation von der Wettbewerbsbehörde als problematisch erachtet werden.

Ein häufiger anzutreffendes Phänomen besteht darin, dass die vom Verband erstellten Einladungen bzw. Tagesordnungen zu Verbandstreffen und Sitzungsprotokolle missverständliche Formulierungen enthalten (z.B. "Reaktion auf den Euroschock" oder "Verhinderung des Preiskampfs durch Parallelimporte"). Auch wenn die tatsächliche Diskussion aus kartellrechtlicher Sicht zulässig war, können solche Formulierungen die Wettbewerbsbehörden auf den Plan rufen und im Fall einer Untersuchung zu einem erhöhten Abklärungsaufwand führen.

2.3 PRESSEMITTEILUNGEN, MITGLIEDERRUNDSCHREIBEN UND VERBANDSEMPFEHLUNGEN

Eine weitere typische Tätigkeit von Unternehmensverbänden ist der Versand von Mitgliederrundschreiben und die Veröffentlichung von Verbandsempfehlungen oder Pressemitteilungen. Diese könnten kartellrechtlich kritisch sein, wenn sie eine horizontale Koordination des Marktverhaltens der Mitgliedsunternehmen beinhalten oder herbeiführen. Ob ein solcher Hintergrund vorliegt, ist immer eine Frage des Einzelfalles und bedarf der kritischen Hinterfragung.

Verbandsempfehlungen, insbesondere in Gestalt von Preisempfehlungen oder Kalkulationshilfen, waren in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand von Abklärungen der Schweizer Wettbewerbsbehörde. Während Preisempfehlungen im Vertikalverhältnis (z.B. vom Hersteller gegenüber dem Händler) in den Grenzen der Vertikalbekanntmachung und bei erkennbarer Unverbindlichkeit im Regelfall zulässig sind, neigt die Wettbewerbsbehörde bei Preisempfehlungen des Verbandes dazu, diese nicht als eine Empfehlung im Vertikalverhältnis (Verband gegenüber Mitgliedern) anzusehen, sondern als einen horizontalen Sachverhalt. Aus Sicht der Wettbewerbsbehörde ist ein Verband demgemäss nichts Anderes als die Summe seiner Mitglieder. Daher bergen Verbandsempfehlungen betreffend Preise, Preisbestandteile und Kalkulationen etc. ein erhöhtes kartellrechtliches Risiko.

Ein Beispiel für eine kartellrechtlich problematische Pressemitteilung liefert der Fall des sog. Kaffeeröster-Kartells in Deutschland. Die Geschäftsführung eines Verbands gab auf Anfrage einiger Mitglieder eines Arbeitskreises eine Presserklärung heraus, in der eine kurzfristig erwartete Preissteigerung aufgrund gestiegener Rohstoffpreise kommuniziert wurde. Wie sich herausstellte, hatten verschiedene Mitglieder unter anderem Preiserhöhungen besprochen und nutzten den Verband, um eine Preisabrede am Markt zu kommunizieren. Das Beispiel zeigt, dass sich hinter einer Pressemitteilung ein kartellrechtlich kritischer Sachverhalt verbergen kann.

3 BEST PRACTICE: KARTELLRECHTLICHE VERHALTENSTIPPS

3.1 KEIN KARTELLRECHTLICHER FREIRAUM IM VERBAND

Das Engagement in einem Verband und die Tätigkeiten des Verbands schaffen keinen kartellrechtlichen Freiraum. Auch die Wettbewerbsbehörden sind bezüglich der Aktivitäten in und von Unternehmensverbänden sensibilisiert und scheuen im Zweifelsfall keinen Aufwand um abzuklären, inwieweit die Aktivitäten des Verbands und seiner Mitgliedsunternehmen mit den Vorgaben des Kartellrechts übereinstimmen. So hat die WEKO in der Vergangenheit schon Hausdurchsuchungen in den Räumlichkeiten von Verbänden vorgenommen, und im Nachgang zum aktuellen WEKO-Entscheid "Engadin I" wird sich vermehrt die Frage stellen, ob Verbände an der kartellrechtlich unzulässigen Koordination ihrer Mitglieder teilgenommen haben.

Grundsätzlich gilt: Das Verhalten im Verband wird nicht milder und nicht strenger behandelt als das Verhalten ausserhalb des Verbands. Was ausserhalb der Verbandsarbeit kartellrechtswidrig ist, ist im Regelfall auch innerhalb der Verbandsarbeit nicht kartellrechtskonform. Die nachfolgende Zusammenstellung von Dos & Don'ts für Unternehmen und Verbände enthält erste praktische Hinweise zur Verbesserung der Kartellrechts-Compliance in der Verbandsarbeit.

3.2 DOS UND DON'TS FÜR VERBANDSAKTIVITÄTEN

  • Bei der Vorbereitung und Durchführung von Sitzungen sind die Grenzen des Kartellrechts zu beachten. Die geplanten Tagesordnungspunkte und Gesprächsthemen sind im Zweifelsfall im Vorfeld auf ihre kartellrechtliche Zulässigkeit zu prüfen.
  • Die mögliche kartellrechtliche Relevanz aller mündlichen und schriftlichen Äusserungen des Verbands ist vorab zu prüfen. Missverständliche Formulierungen in schriftlichen Erklärungen wie z.B. Pressemitteilungen, Mitgliederrundschreiben, Einladungen zu Verbandssitzungen, E Mails etc. sind zu vermeiden.
  • Die Diskussionsgegenstände in den Verbandsgremien sind regelmässig zu prüfen. Es ist in der Regel nicht zulässig, dass über kartellrechtsrelevante Marktthemen wie Preise, Preiserhöhungen, Weitergabe von Rohstoffpreiserhöhungen, Konditionenverhandlungen mit Abnehmern oder Lieferanten, Liefergebiete, Liefermengen etc. gesprochen wird.
  • Die Mitglieder sind darauf hinzuweisen, dass die Vorgaben des Kartellrechts bei allen Verbandsaktivitäten einzuhalten sind. Dies kann z.B. mittels eines Verhaltenskodex erfüllt werden, der vor jeder Sitzung aufgelegt und akzeptiert wird.

3.3 DOS UND DON'TS FÜR VERTRETER VON UNTERNEHMEN

  • Die Tagesordnungspunkte eines Verbandstreffens sind im Vorfeld zu prüfen und müssen eingehalten werden.
  • Wenn Bedenken bestehen, ist darauf hinzuwirken, dass ein Tagesordnungspunkt vom Verband vorab geprüft oder zurückgestellt wird.
  • Entstehen in einer laufenden Sitzung kartellrechtliche Bedenken, so ist die entsprechende Diskussion zu unterbrechen. Wenn die Diskussion fortgeführt wird, so muss die Sitzung verlassen und dies im Protokoll vermerkt werden. Eine klare Distanzierung ist notwendig. Eine passive Teilnahme kann von der Wettbewerbsbehörde als Zustimmung interpretiert werden.
  • Eine Beteiligung – auch als blosser Zuhörer – an Gesprächen über kartellrechtsrelevante Themen wie Preise, Preiserhöhungen, Verhandlungen mit Abnehmern oder Lieferanten, etc. ist zu unterlassen.
  • Eine Beteiligung an informellen Gesprächen am Rande von Verbandssitzungen, z.B. am Vorabend im Hotel, in Kaffeepausen oder beim Apéro, über kartellrechtsrelevante Themen ist zu unterlassen.
  • Im Nachgang zur Verbandssitzung sind die verteilten Protokolle auf ihre kartellrechtliche Relevanz zu prüfen. Missverständliche Formulierungen sind klarzustellen.
  • I n Zweifelsfällen ist die Rechtsabteilung oder ein kartellrechtlich spezialisierter Rechtsanwalt beizuziehen.

4 AUSBLICK

Der WEKO-Entscheid "Engadin I" zeigt, dass die Aktivitäten in und von Verbänden nach wie vor von den Wettbewerbsbehörden verfolgt werden. Umso wichtiger ist es daher für Verbände, aber auch Unternehmen, dafür Sorge zu tragen, dass die für die Wirtschaft bedeutungsvolle Verbandsarbeit die Grenzen des kartellrechtlich Erlaubten einhält.

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